Es muss die Hölle sein, die Hölle auf Erden. Zumindest wenn man Ex-WWE-Referee Tim White Glauben schenken darf, der die Ansetzung eines Hell-in-a-Cell-Matches anno 2005 zwischen Randy Orton und dem Undertaker als so nervenzerreißend empfand, dass er sich über Wochen versuchte, live im TV das Leben zu nehmen. Erscheint irgendwann an dieser Stelle eine Top-Ten-Liste der geschmacklosesten Storylines, ja, dann würde ich diesen Umstand sicherlich näher ausführen und der gute Tim fände sich neben Namen wie Katie Vick, Mae Young, Al Wilson und Dominic Gutiérrez wieder. Also hier die Kurzfassung, warum sich der gute Tim diesen Kampf so zu Herzen nahm und dadurch tausende trauernde Fans dazu bewegte, diese Selbstmord-Storyline mit Kondolenz-Mails zu beantworten: Dreieinhalb Jahre zuvor stand Tim White höchstselbst als Referee in einem dieser berüchtigten Hell in A Cell Matches, um die Schlacht zwischen Chris Jericho und Triple H zu leiten. Selbst er als Offizieller blieb den Höllenqualen in der verfluchten Zelle nicht verschont und badete nach einer harten Attacke Jericho’s im eigenen Blut. Doch nicht nur sein Kopf wurde in Mitleidenschaft gezogen, auch die Schulter verletzte sich Tim White so stark durch die Attacke von Chris Jericho, dass er seine Karriere beendete und nur noch für zwei Auftritte zu WWE zurückkehrte erstens als Referee in seinem Abschiedsmatch bei WrestleMania 20, bei dem sein einstiger Peiniger Chris Jericho gegen Christian antrat und zweitens eben jene Selbstmordserie, die an Geschmacklosigkeit selbst das Ende von Steven King’s „Der Nebel“ in den Schatten stellte.
Netting Wire Brawl
Hell in a Cell es wird von WWE dargestellt wie die Hölle auf Erden, das brutalste Match in der langen Riege der Gimmickmatches. Der Teufel unter den Kämpfen. Und seit einigen unbedeutenden Verwendungen zu Beginn des Bestehens dieser Matchart wird die Zelle auch genau hierfür eingesetzt: Als letzter großer Paukenschlag zur Beendigung intensiver und bedeutsamer Fehden. Dabei ist an der Zelle eigentlich gar nichts so besonders laut Regelbuch spielt die Stahlkonstruktion nämlich keinerlei Rolle und es gibt eigentlich keinen plausiblen Grund dafür, warum Hell in A Cell tatsächlich brutaler sein sollte, als Parking Lot Brawls, Boiler Room Brawls oder der seit der APA allseits beliebte Bar Room Brawl. Anstelle einer x-beliebigen Location, findet hier halt einfach ein No Holds Barred Match in einer Maschendraht-Zelle statt. Keine Stipulation, die den Wrestler in irgendeiner Form zwingt, mit der Konstruktion zu interagieren, wie bspw. beim Cage-Match oder dem Punjabi Prison, wo es um die Flucht geht. Okay, die Zelle ist hoch, ja, aber aufgrund der Verletzungsgefahr ist schon seit fast 10 Jahren niemand mehr von der Zellendecke gekracht und selbst bei Rikishi’s Bump fuhr man eigens einen Strohwagen zur Abfederung vor das Stahlgerüst. Ein LKW voller Stroh ein ebenso beliebtes wie auch absolut notwendiges Accessoire bei einer Wrestlingshow, wie bspw. auch Stoppschilder oder Staubsauger, die sich selbstverständlich unter jedem Ring dieser Welt befinden müssen.
Die besondere, ganz spezielle und alleinstellende Brutalität des Hell in A Cell Matches stellt sich somit weniger durch Fakten im Reglement dar, als vielmehr durch seine eigene Historie. Wenngleich das WWE-Booking samt ihrer Behauptungen und allwöchentlich stattfindenden „Major Announcements“ gut vergleichbar ist mit einem Fön in Sachen Produktion von heißer Luft hier hat man zwar Haltloses behauptet, sich durch seine eigene Geschichte aber Rechtfertigung verschafft, was durchaus Lob verdient. Man schuf eine Matchart, die an sich unspektakulär, weil eigentlich nicht großartig besonders ist, und pushte sie selbst in den Adelsstand, den man durch Worte bereits vorgab.
Debütantinnen-Ball mit ungeladenen Gästen
Den Anfang machten Shawn Michaels und der Undertaker dass ein Aufeinandertreffen dieser beiden Größen in einer neu geschaffenen Gimmickmatchart nur historisch werden konnte, das war auch damals schon klar. Beide, der Deadman und der Heartbreak Kid, waren aber noch nie Männer, die sich damit zufrieden gaben, dass allein ihre Namen schon Bedeutsamkeit versprachen sondern bewiesen sich in jedem Kampf auf’s Neue. So auch am 05. Oktober 1997 bei einem PPV namens Badd Blood. Spätestens nach seinem Titelgewinn in Montreal und dem daraus entstandenen Hype um die ganze Geschichte war Michaels wohl in dieser Zeit auf seinem absoluten Heel-Zenit. Der Undertaker befand sich ebenso neben seinem Programm mit dem Heartbreak Kid in einer seiner besten Storylines, denn Woche für Woche wurde er von seinem Ex-Mentor Paul Bearer vollgelabert, sein Bruder Kane würde noch Leben das Publikum vollständig im Regen stehend, was dies bedeuten sollte. Es kam Badd Blood, dass so böse war, dass das „Bad“ ganzer zwei D’s bedurfte und es gab einen Klassiker, wie es die beiden Namen nur versprechen konnten. Obendrein angeheizt von den fantastischen Publikumsreaktionen, dem erstmaligen Auftritt der beeindruckenden Zellenkonstruktion und der fantastischen Interaktion der Wrestler mit der Maschendrahtzelle, abgerundet durch das fulminante Debüt des Kane-Charakters.
Über die Jahre sollten es genau diese zwei Männer werden, Shawn Michaels und der Undertaker, die gar nicht genug davon bekommen konnten, im Höllenkäfig Geschichte zu schreiben. Ganze neun von insgesamt 16 Hell in A Cell Matches (das Hundehütten-Debakel mal nicht mitgerechnet dazu aber später mehr) bestritt der Deadman und obwohl man ihn durch diese enorme Quote gerne zum König dieser Disziplin ernennt: Mit nur 5 Siegen, ist er laut Quote nur ganz knapp in der statistischen Gewinnzone und musste sich ganze vier Mal in Mitten des Maschendrahts geschlagen geben. Shawn gewann immerhin zwei seiner drei Höllenfahrten. Die einzige Niederlage kassierte der Showstopper gegen einen Mann, an dessen Seite er ein weiteres gewinnen konnte, nämlich Lieblingsfreund und feind Triple H den dritten im Bunde, wenn wir vom Titel des „Mr. Hell in a Cell“ sprechen. Sieben Auftritte absolvierte The Game in Summe, nachdem er bei der legendären und unerreichten Ausgabe Nummer 1 nur von außen als Michaels’ Protegé zusehen durfte. Fünf dieser Kämpfe gewann Triple H eines wie gesagt an der Seite des Heartbreak Kid, als die zwei im Sommer 2006 im ersten Hell in A Cell Handicap Match gegen Big Show und die McMahons antraten.
Etwas neben der Spur
Ein Handicap-Match in der Zelle, das hatte es zuvor noch nicht gegeben. Dafür aber eine ganze Reihe anderer Absurditäten. Vorneweg zu nennen sicherlich der größte Schandfleck auf dem Lebenslauf dieses Gimmickmatches. Nicht nur, dass die Besetzung mit Al Snow und dem Big Boss Man gefühlte sieben Klassen unter dem Match-Standard ausfiel dieses mal kombinierte man unprominente Namen auch noch mit derart übertriebenen und unsinnigen Details, dass das „Hell in a Kennel“-Match aus dem Jahre 1999 selbst als Parodie noch lächerlich gewirkt hätte. In der Zelle befand sich noch ein klassischer Steel Cage und zwischen den Maschendraht-Wänden chillten eine Reihe ermüdeter Hunde vor sich hin. Selbst Rick Steiner hätte hier in der Rolle des Kampfhundes bedrohlicher gewirkt, als es diese Köter taten. Es tat wirklich weh mit anzusehen, wie man eine so gut gepushte Matchart hier „verjobbte“ speziell wenn man bedenkt, dass nur sechs Monate zuvor mit dem Big Boss Man noch einer der beiden Teilnehmer bei WrestleMania an dieser denkwürdigen Matchart teilnehmen durfte. Womit wir bei der nächsten Absurdität in der Hell-in-a-Cell-Geschichte wären. Absurd ist hierbei nicht nur die Tatsache, dass es der Big Boss Man tatsächlich auf eine WrestleMania Card gegen den Undertaker geschafft hat, sondern vielmehr, wie er sich aus dem Kampf verabschiedete. Denn in weiser Voraussicht, welche Gedanken Tim White sechs Jahre später hegen würde, hängte der Undertaker seinen Gegner an einem Strick in der Zelle auf und ließ ihn gemeinsam mit der Konstruktion empor ziehen.
Ja, das war lange vor der Kinderfreundlichkeit, lange vor Rekordumsätzen von Rey-Mysterio-Masken und Hornswoggle-Faschingskostümen. Aus selbiger Zeit stammt auch das wohl denkwürdigste Match, bei dem Mick Foley, seines Zeichens geisteskrankester Angestellter der World Wrestling Federation, gleich zweimal vom Zellendach hinabstürzte. Ein Mal mit Absicht in Form eines Slams auf das spanische Kommentatorenpult ein Mal unabsichtlich per Chokeslam durch ein unausreichend gesichertes Zellendachelement. Der Fan dachte „Boah, cool. Geiler Stunt.“. Der Undertaker dachte „F*ck. Ich hab Foley getötet:“. Foley dachte vermutlich schlicht und ergreifend „Autsch.“. Aber wie gesagt: Geisteskrank genug, um selbigen unabsichtlichen Stunt von 1998 zwei Jahre später in seinem mutmaßlichen Abschiedsmatch gegen Triple H einfach noch mal zu wiederholen dieses Mal allerdings geplant.
Unnützes Wissen zum Kampf in der Zelle
Mick Foley ist allerdings nicht nur durch seinen selbstverachtenden Wahnsinn in die Hell-in-a-Cell-Geschichte eingegangen, sondern ebenso durch seine Teilnahme an beiden Zellenkämpfen, die bei einer einfachen wöchentlichen Show stattfanden, bevor die Matchart zu ganz großen Ruhm gelangte. Beide Male übrigens gemeinsam mit Kane einmal an dessen Seite und ein Mal gegen ihn und beide Male mit einem No Contest zum Ergebnis. Eine weitere Absurdität überlege man heute mal die voraussichtlichen Reaktionen, würde uns WWE ein Hell in a Cell Match als No Contest verkaufen wollen.
10 statistische Fakten zum Hell in a Cell Match:
- Die meisten Teilnehmer an einem HiaC-Match gab es bei Armaggeddon 2000, als mit Rikishi, dem Undertaker, Kurt Angle, Triple H, Steve Austin und The Rock ganze sechs Männer gegeneinander antraten.
- Das kürzeste Hiac-Match war der No Contest zwischen Kane und Mankind bei einer RAW-Ausgabe im Sommer 1998, dass nach nicht einmal 8 Minuten ein Ende fand.
- Das kürzeste Match auf der PPV-Bühne ereignete sich knapp sechs Monate später, als der Big Boss Man nach knapp 10 Minuten von der Zellendecke herunter baumelte.
- Als wahre Iron-Man-Höllenzeller erwiesen sich Triple H und Shawn Michaels, als sie im Jahr 2004 bei Bad Blood (mittlerweile weniger böse und nur noch mit einem „d“) mehr als eine Dreiviertel-Stunde im Drahtgeviert ausharrten, was gleichzeitig das längste Match seiner Art ist.
- Durchschnittlich dauert ein Hell-in-a-Cell-Match ungefähr 24,5 Minuten.
- Es gab bisher keine Matchkonstellation, die zwei Mal in der Zelle ausgekämpft wurde.
- Kurt Angle, Batista und Brock Lesnar sind bisher in HiaC-Matches ungeschlagen, wobei Batista der einzige ist, der mit mehr als einem Match ungeschlagen ist. Er siegte bisher über die HiaC-Götter Triple H und den Undertaker.
- Es gab erst ein Tag Team Match in der Zelle, ein Handicap Match und ein Multi-Teilnehmer-Match alle anderen Aufeinandertreffen waren Eins gegen Eins.
- In den letzten 12 Jahren bot uns WWE über 6,5 Stunden Wrestling in ihrer Zellenkonstruktion.
- Der Undertaker verbrachte ganze 3,6 Stunden seines Lebens in der Zelle, Triple H immerhin knapp 3 1/3 und Shawn Michaels rund 1,7 Stunden. Obwohl Mick Foley einen Auftritt mehr absolvierte als der Heartbreak Kid, verbrachte er mehr als eine halbe Stunde weniger in der Hölle.
Am Ende bleibt das Fegefeuer
Das letzte Hell in A Cell Match ist nun schon fast ein ganzes Jahr her und laut WWE-Zeitplan ist die nächste Ausgabe schon lange überfällig. Und wenn sich ein Trend speziell in den letzten Jahren abgezeichnet hat, dann ist es der, dass man schon ein ziemlich großer Name sein muss, um die Pforte aus hartem Maschendraht zu durchschreiten. Die Teilnahme ist also kaum weniger als ein Ritterschlag für einen Wrestler. Hell in a Cell die Königsdisziplin an Brutalität. Das ist es, was uns WWE vorgab zu denken und das ist es, was Mick Foley, Shawn Michaels, der Undertaker und Triple H in den letzten 12 Jahren wahr gemacht haben. Hell in a Cell ist laut Faktenlage so ätzend unspektakulär und doch ist es auf einer jeden PPV-Card auf der es erscheint nicht weniger als ein absolutes Spektakel. Es ist eine Kreation von World Wrestling Entertainment, es ist nicht weniger als eine Legende. Es ist die Hölle. In einer Zelle. Hell in a Cell.