Teil 3:
Klappe zu, Affe tot – The Casket Match


Bereits bei einer vorangegangenen Matchart, die frei übersetzt den Namen „die Hölle in einer Zelle“ trägt, kam das Thema einiger, ich sage mal, ‚fragwürdiger’ Geschichten und Vorkommnisse im WWE TV zur Sprache. Tim White war das damalige Beispiel, dazu kamen aber noch die Darstellungen von Alltagssituationen, wie bspw. dem Wurf eines Athleten von einer Maschendraht-Zelle durch einen Sperrholztisch. WWE ist ein Unterhaltungsprodukt – es unterhält per athletischen Darbietungen und typischen Storyline-Elementen. Da man sich natürlich besonders aufgrund des sportlichen Faktors immer sehr viel näher an der Realität orientiert, als es bspw. Fernsehserien oder Kinofilme tun, ist das Produkt „Wrestling“ nicht selten harscher Kritik ausgesetzt. „Don’t try this at Home!“ – wir alle lieben diesen Spot, der zwar nervig ist, aber selbstverständlich seine Daseinsberechtigung besitzt.

Besonders kritisch wird das Produkt natürlich dann, wenn es sich einerseits sehr an einer Zielgruppe im Kindesalter orientiert, es auf der anderen Seite aber auch mit Reißzwecken, Feuer und bei lebendigem Leibe einbetonierten Bestattungsunternehmern hantiert. Um speziell besorgten Eltern die Angst vor dem Produkt zu nehmen, hat WWE Ihre Eltern-Informationsseite „WWE Parents“ ins Leben gerufen. Es ist an diejenigen Eltern gerichtet, die ihrem Kind den Traum erfüllen wollen, den witzigen kleinen grünen Kobold mal live tanzen zu sehen und es per Ticketkauf in eine Halle führt, in der ein grimmig drein schauender Muskelprotz einen aus alles Poren blutenden ganzkörpertätowierten weiteren Muskelprotz mit einem Vorschlaghammer die Birne zu Brei schlägt. That’s Entertainment. Aber keine Panik, für eben jene Eltern, hat WWE die passende Antwort auf Ihrer WWE-Parents-Seite:

„Die Aktivitäten, die während unserer Sendungen vorgetragen werden, […] stellen keine sozialverantwortlichen Methoden der Konfliktlösungen dar.“

Sozialunverträgliche Methoden der Konfliktlösung

Na also. Und damit spannt World Wrestling Entertainment natürlich einen sensationell guten Bogen zu unserem nächsten Gimmickmatch, dem Casket-Match. Ein Kampf, bei dem es darum geht, seinen Gegner in einem Sarg zu versenken. Bei Belieben kann man das abhängig von Stipulation oder Tagesform noch soweit interpretieren, dass man jenen Sarg in einem Loch verbuddelt oder einfach in Brand steckt. Auch darin einschlagende Blitze sind sehr beliebt. Familienfreundlichkeit wird groß geschrieben und mit seinem Parents-Programm stellt WWE sicher, das klein Justus auf der Beerdigung seines lieben Opas nicht denken muss, dass dieser grade ein Buried Alive Match gegen den Pfarrer verloren habe. Denn: Richtig, die Aktivitäten, die während der WWE-Shows vorgetragen werden (also auch dieses in-einen-Sarg-packen-Zeugs), stellen nun mal keine sozialverantwortlichen Methoden der Konfliktlösung dar. Wenn Du Dich mit dem kleinen Nicholas auf dem Schulhof streitest, dann wirst Du ihn nicht zu einem Casket Match herausfordern, nein, das wirst Du nicht.

Ich liebe dieses Zitat, ich liebe die Erinnerung daran und speziell beim Casket-Match, der wohl tatsächlich sozialunverträglichsten Matchstipulation, ist es die ultimative Vorlage für die Bewertung seiner Historie.

Doch, natürlich, bei aller Kritik an der Stipulation, sei natürlich neidlos anerkannt, dass es perfekt auf das Gimmick des Undertaker passt. Während sich der Deadman die Krone des „Mr. Hell in a Cell“ mit gleich mehreren Kontrahenten teilen musste, ist ihm der Titel in dieser Kategorie natürlich durch niemanden abspenstig zu machen. 18 Mal schon ermittelte man bei World Wrestling Entertainment den Sieger eines Matches dadurch, dass er einen Sargdeckel über deinem Gegner schloss und von diesen 18 Malen nahm der Undertaker an ganzen 16 Kämpfen teil. Sprich: nur 2 Mal ging es ohne ihn und während er bei einem Mal noch von seinem Bruder vertreten wurde, gab es sogar nur ein Match komplett ohne Beteiligung der Taker-Gimmick-Familie. Das Casket-Match wurde für den Undertaker geschaffen, sein Gimmick war die Vorlage und er war es, der die Matches legendär machte. Allgemein hin gilt es als große Ehre für einen Wrestler, dem Deadman in einem Casket-Match gegenüber stehen zu dürfen – denn in der Regel bedeutet dies, dass man zuvor eine lange intensive Fehde gegen den wohl größten aktiven WWE Star bestritten hat. Eine ausgedehnte Fehde mit dem Undertaker kommt einem Ritterschlag gleich, das Sarg-Match der Krönung und der Sieg in einem solchen der Erhebung in den Gottesstatus. Und doch gelang es ganzen vier Gegnern des Deadman, ihn in seiner Paradedisziplin zu besiegen. Genauer gesagt fünf, denn einmal waren es gleich zwei Männer, die den Totengräber begruben.

The Rise and Fall…

Aber der Reihe nach: 1994 war der Deadman noch ungeschlagen in Sargmatches. Das hatte damals allerdings noch einen ähnlichen Wert wie die Aussage, dass Santina Marella ungeschlagen in Hog Pen Matches ist, denn zu diesem Zeitpunkt hatte der Undertaker mal gerade erst einen einzigen Kampf unter diesen speziellen Regeln hinter sich. Dieser fand 2 Jahre zuvor bei der Survivor Series statt und beendete den Abschluss der Fehde mit dem legendären Kamala. 1994 war sein Gegner aber noch eine Nummer „umfangreicher“, denn beim Royal Rumble trat der Deadman gegen den damaligen WWE-Champion Yokozuna um dessen Titel an. Just in dem Moment als der Undertaker jedes Kilo des Champs weich geklopft hatte, bewegte sich der komplette Heel-Locker-Room des Rosters zum Ring und drehte den Kampf. Der Taker war geschlagen und in einem Video sah man ihn zum Himmel schweben. Ja, das war… weird.

Aber gut, noch im selben Jahr konnte der Deadman Rache üben und verfrachtete Yokozuna bei den Survivor Series zur Revanche seinerseits ins storylinetechnische Jenseits, womit er auch zum ersten Mann wurde, der dem Taker zwei Mal in einem Casket-Match gegenüber stand. Im Folgejahr sollte es die ultimative Kampfmaschine Kama sein, die als Dankeschön für das Einschmelzen der deadman’schen Urne gleich zwei Mal innerhalb von 4 Wochen den Sargdeckel von unten sehen musste (ein Mal jedoch als Dark-Match, was daher eigentlich nicht zählen darf). Das war dem Undertaker zu einfach, weil Kama einfach viel zu leicht war und versenkte knappe 4 Monate später noch im selben Jahr den größten King of the Ring aller Zeiten, Mabel, in der Holzkiste. Drei Ausgaben desselben Gimmickmatches in nur einem Jahr – langsam roch es nach Abnutzung. Und in der Tat – die Matchart drohte abzustumpfen. Wurde sie im Jahr zuvor noch für Main Events genutzt, diente sie plötzlich zur fließbandmäßigen Abfertigung von Midcardern. Die Krone setzte man diesem Trend sechs Monate später auf, als man den Undertaker mit Goldust gegen einen weiteren Midcarder stellte, ihn damit auch um den Intercontinental Title antreten und ihn zu allem Überfluss auch noch verlieren ließ. Gegen Goldust! Genau, das ist der Typ, der vor wenigen Wochen Teil einer Promo war, bei der ein Reality Soap Star einem kleinwüchsigen Iren ein T—Shirt in die Eier schoss. Natürlich gelang es dem Goldjungen nicht clean, den Taker zu bezwingen – denn der eigentliche Fehdengegner des Deadman, Mankind, griff in den Kampf ein und verschaffte Dustin Runnels so den wohl größten Sieg seiner Karriere.

Särge für lau abzugeben. Gut brennbar.

Das Sarg-Match verschwand daraufhin für fast zwei Jahre von der Bildfläche und wurde erst 1998 wieder zurückgeholt und dieses Mal glücklicher Weise wieder an eine weitaus gelungenere Stelle – nämlich in den Main Event des 1998 Royal Rumble, als der Undertaker gegen Shawn Michaels um dessen World Title antrat. Wieder war es zwar ein Titelkampf, aber wieder zu einer Zeit, in der er sich eigentlich in einer Fehde mit jemand anderem befand – nämlich Kane, seinem vermeintlichen Bruderherz. So kam es also tatsächlich zur zweiten Niederlage in Folge, denn der Heartbreak Kid verteidigte durch Eingreifen der Big Red Machine. Langsam wurde es natürlich schwer, das Casket Match als des Undertaker’s Domäne zu verkaufen – von 7 Kämpfen hatten ihm die Schreiberlinge nun bereits 3 Niederlagen verschafft. Es schrie also nach Wiedergutmachung und mit Kane stand ja schon der perfekte Gegner vor der Startlinie. Erstmals wählte man für das Aufeinandertreffen allerdings keinen PPV als Plattform, sondern handelte das Spektakel bei einem stinknormalen RAW ab – einen wirklichen Sieger gab es nicht. Der Sarg zerbrach und damit endete das Match. Mit diesem Free-TV-Show-Debüt zeichnete sich ein Trend ab, der stolze 7 Jahre (!) anhielt, denn so lange sollte es dauern, bis man dem Holzkasten wieder einen PPV-Auftritt bescherte. Aber auch der Deadman pausierte annähernd so lange, denn nach seinem Sieg über The Rock im Jahr 1999 kämpfte auch er knapp 6 Jahre nicht unter dieser Stipulation.

Der 2005er Royal Rumble sollte die Bühne für das Comeback sein – und das hätte uninteressanter nicht sein können. Heidenreich hieß der Gegner und der kam dem Taker ungefähr so gefährlich wie die SPD der CDU bei der vergangenen Europawahl. Noch im selben Jahr setzte es schließlich die nach Yokozuna, Goldust und Shawn Michaels inzwischen vierte, aber auch letzte Niederlage des Undertaker in einem Casket Match. Dieses Mal standen ihm mit Randy und Bob Orton gleich zwei Männer gegenüber und sie waren es auch, die es als allererste schafften, unser aller Totengräber ohne Hilfe von Außerhalb „clean“ zu bezwingen. Sofern man ein Resultat nach Einsatz diverser Gegenstände wie bspw. einem Feuerlöscher überhaupt „clean“ nennen kann, aber man tat in dem Match auf Seite Orton zumindest nichts im Kampf verbotenes. Im Anschluss entzündete das Vater/Sohn-Gespann den Holzkasten noch, doch getreu der Maßstäbe unserer WWE-Parents-Seite zeigte man am Folgetag natürlich ganz brav, wie der Deadman den Flammen entkommen konnte.

Casket owns The Game

2006 feierte der Sarg schließlich sein WrestleMania-Debüt im belanglosen Match Undertaker vs. Mark Henry, das einzig und allein dazu gut zu sein schien, Henry irgendwie over zu bekommen und dem Taker einen neuen Strich auf der WM-Liste zu schenken. Zwei Jahre später wiederholte man das Ganze bei einer RAW-Ausgabe und versetzte der Stipulation einen weiteren Genickstoß. Das Genick brach dann noch im selben Jahr, als man dem Undertaker bei Smackdown, also der B-Show, nicht mal mehr einen Midcarder gönnte, sondern Chavo Guerrero – ohne Storyline, ohne Spannung, ohne Highlights. Auch der bisher letzte Ausflug auf die PPV-Bühne bei der letztjährigen Survivor Series gegen The Big Show konnte daran zumindest für mich nicht viel ändern.

Neben dieser langen Geschichte der beiden Freunde Undertaker und Sarg gab es aber nun mal auch besagte zwei Matches Ende der Neunziger, an denen der Deadman nicht in persona beteiligt war. Ein Sarg-Match ohne den Undertaker? Das war wie Baywatch ohne David Hasselhoff oder die Simpsons ohne… die Simpsons. Eines hatten beide Non-Taker-Ausgaben jedoch gemeinsam: In beiden Fällen war es Triple H, der am Ende im Holzkasten landete. Beim ersten Mal gegen Mideon und Viscera, beim zweiten Mal gegen Kane. Klar, natürlich nicht clean – es liest sich aber schon irgendwie witzig, dass The Game einst gegen Phineas Godwinn und die World’s Largest Love Machine verlor. Nunja, von Belang waren beide Kämpfe nicht und komplettieren lediglich die vollständige Liste aus 17 Jahren Casket Match Geschichte.

Unnützes Wissen für den angehenden Bestatter

Statistisch gesehen ist das Sargmatch das doofste in dieser Reihe und doch lassen sich ein paar wenige Fakten zusammenstellen, die auf wirklichen Zahlen beruhen und eben nicht auf diesem meinem – unwiderruflich korrekten – subjektiven Auge:

-       Durchschnittlich dauerte ein Casket-Match bisher rund 10 Minuten und 20 Sekunden, was für ein Gimmickmatch vergleichsweise gering ist.
-       Das längste Casket-Match der Geschichte bestritten der Undertaker und die Orton-Familie 2005. Fast 20 Minuten dauerte es, bis sich der Deadman im Sarg befand.
-       Das kürzeste Sargmatch der Geschichte war auch gleichzeitig das erste Sargmatch der Geschichte – Undertaker gegen Kamala dauerte nur etwas über fünf Minuten.
-       Insgesamt verbrachte der Undertaker 160 Minuten in Sargmatches, also etwas über 2,5 Stunden.
-       Für seine vier Niederlagen mussten Yokuzuna, HBK, Goldust und die Ortons in Summe eine volle Stunde auf den Undertaker einschlagen – während er für seine 11 Siege und das Unentschieden gerade mal eine halbe Stunde länger brauchte.
-       Insgesamt nahmen an den 17 im TV ausgestrahlten Casket-Matches in 17 Jahren 17 unterschiedliche Personen teil. Und da sag einer, die 23 sei böse…
-       Kane ist der einzige, der mehr als ein Match bestritt und bis heute unbesiegt in dieser Kategorie ist.
-       Zwei Mal gab es bisher Handicap-Casket-Matches und beide Male siegte das Team über die Einzelperson.
-       Noch nie standen sich mehr als zwei Parteien in einem Casket-Match gegenüber.
-       Der Undertaker verlor nie ein 1-on-1-Sargmatch clean und ohne Eingriffe von außen.

Sozialverträgliche Konfliktlösung im Land der Toten

Es ist wirklich beruhigend und gut zu wissen, dass all das Beschriebene reine Show ist und eben keine sozialverträgliche Art der Konfliktlösung. Betrachtet man das Casket-Match aber mal genau, dann ist es nichts anderes als eine reine Comedy-Show, eine Comic-Veranstaltung und daher geht es auch vollkommen klar, dass man mit knapp 10 Minuten Durchschnittskampfzeit weit unter dem liegt, was ein Fan als optimale Kampfdauer bezeichnet – besonders in Gimmickmatches. Der Sarg ist Teil des Undertaker-Gimmicks und genauso wie er eine Comicfigur ist, ist es auch sein Sarg. Ein hawaiianischer Sumoringer landete bisher genauso darin, wie eine Kampfmaschine, ein afrikanischer Dummkopf und ein dunkler Seher – nur gegen einen mit gold überzogenen Filmzitierer und einen alten Cowboy hat der Totengräber verloren. Das alles klingt doch wirklich gefährlich aus einer Mischung aus Tekken, Batman und Saber Rider. Doch all diese Kritik spielt nun mal keine Rolle, weil es hier einfach um den Undertaker geht und damit um eine der wenigen Personen in der WWE-Geschichte, die sämtlicher Kritik erhaben ist. Alles, was um den Deadman herum passiert ist ein Spektakel, manchmal mehr und ja, manchmal auch weniger – dabei spielt es aber keine Rolle, ob er seine Gegner in einem Leichenwagen wegfährt, in einem Müllcontainer versenkt, mit Schweinepampe überschüttet oder, ja, genau, in einem Sarg begräbt.

Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!