Teil 5:
Geschlossene Gesellschaft – The Elimination Chamber

Es war einmal, vor langer langer Zeit… so beginnen Märchen. Lange ist es immer her, was dort passiert, denn wenn etwas lange her ist, verzeiht man eher, dass es unrealistisch, gar fantastisch ist. Früher gab es Hexen, klar. Heute wäre das bloß Science Fiction oder irgend so ein Fantasy-Stuss. Verlegt man eine Geschichte jedoch ins Mittelalter und lässt die Protagonisten mit Schwertern statt mit vollautomatischen Handfeuerwaffen kämpfen – dann wirkt es fast normal, dass in den Geschichten Orks, Zauberer und sprechende Bäume herumtrollen. Dass etwas lange her ist, entschuldigt, dass es aus heutiger Sicht betrachtet komisch wirkt. Doch erzähle ich hier keine Märchen. Gut, auch. Aber nicht nur. Hier soll es um die finale aller Mottopartys gehen – die die historischer gewachsen war als jede seiner Vorgänger. Das Sargmatch war original, klar. Die Auswüchse dieser Matchart waren dann doch eher Gimmickschauermärchen wie Buried Alive oder das Ambulance Match. TLC und Money in the Bank hingehen waren eine Weiterentwicklung des klassischen Leitermatches. Und warum? Weil man eben viel zu verschwenderisch mit dem Urmatch haushaltete. Irgendwann wurden Midcard-Titel in wöchentlichen Shows auf der Leiter ausgetragen. Um sie spektakulär zu machen, musste also mehr her. Entweder mehr Zeugs, wie beim TLC – oder eben einfach mehr Menschen, wie beim Money in the Bank Match.

Ja, und es war, vor langer langer Zeit, da präsentierte uns WWE das Cage Match. Blanker Stahl, der den Ring umrandet. Den es gilt zu verlassen – so schnell wie möglich. Denn nur, wenn beide Beine den Ringboden berühren, nur dann kann man das Cage Match gewinnen. Doch auch hier verschwendete man den einstigen Headliner. Aus Stahl wurde Stacheldraht aus Main Events wurden Opener bei den Weeklys. Hell in a Cell war geboren und wurde zum ersten wirklich erfolgreichen Spin-Off das Käfigmatches. Und das, obwohl man einfach nur ein Dach drauf machte. Okay, ja, ein Dach von dem regelmäßig Menschen herunterfielen, aber mehr als ein XXL-Cage war Hell in a Cell nicht. Speziell wurde es nur durch das, was die Herren im Ring taten.

Der Abend, als die Show stoppte…

 Und doch dürstete des den gemeinen WWE-Fan immer noch nach mehr. Größer, böser, brutaler – spektakulärer musste es im neuen Jahrtausend werden und so kam es, dass man das Konzept im Jahr 2002 erweiterte. Der Käfig wurde rund und wieder massiver als die öde Maschendrahtzaunkonstellation. In den Käfig kamen noch 4 Plexiglaskammern und ein komplexes Regelwerk. Wie im Royal Rumble treten die sechs Teilnehmer dem Match nur nach und nach bei. Wie bei der Survivor Series scheidet man aus, wenn man gepinnt wird. Und wie beim King of the Ring ist man dann Gewinner, wenn man alle anderen eliminiert hat. Und was hat’s vom Cage-Match? Klar, den Käfig. Die Elimination Chamber war geboren und Eric Bischoff, seines Zeichens damaliger General Manager von RAW, war es, der sich mit den Lorbeeren der Matchidee in den Shows schmücken durfte.

Wie so oft stand bei der ersten Ausgabe weniger die Besetzung des Kampfes im Vordergrund, sonder eher die neue Matchidee an sich. Eigentlich ging es im Ring nämlich ausschließlich um World Champion Triple H und den frisch zurückgekehrten Shawn Michaels. Rob Van Dam, Kane, Booker T und Chris Jericho waren da von vornherein nur Statisten und zu keinem Zeitpunkt ernstzunehmende Anwärter auf einen Sieg. Die Kammer war pompös, sie war beeindruckend und jede Interaktion war innovativ – natürlich, schließlich debütierte das Stahlgerüst an diesem Abend. Am Ende war es Shawn Michaels, der sich mit seinem Mädchenhaarschnitt nur 3 Monate nach dem Comeback den World Title sicherte. Es war die erste Elimination Chamber, es war die längste Elimination Chamber und wie so oft wenn eine neue Matchart mit Shawn Michaels’ Beteiligung debütiert (siehe Ladder-Match, Hell in a Cell) war es in Summe vermutlich auch die beste Elimination Chamber. Was natürlich nicht bedeuten sollte, dass es keine weitere gute mehr danach geben sollte. Im Gegenteil. Die Elimination Chamber avancierte zu einem wahren Highlight und selbst in den vergangenen zwei Jahren als man sie gleich doppelt an einem Abend zeigte, verlor sie kein bisschen an Reiz.

Ich bin ein Star, holt mich hier raus.

Genaugenommen gab es eigentlich nur drei Kammerkämpfe, die qualitativ sichtlich abfielen. Die erste derbe Enttäuschung lieferte man dem WWE-Publikum gleich in Ausgabe Nummer 2. Kein Jahr nach dem Debüt der Chamber bei der 02er Survivor Series, wählte man 2003 den Summerslam als Rahmen für die Sechs-Mann-Schlacht. Ja, sie war wesentlich prominenter besetzt als noch im Vorjahr, doch am Ende dauerte sie nur halb so lange, beinhaltete keinen Titelwechsel (was es in 9 Chambers nur 2 Mal gab!) und wurde durch einen Mann gewonnen, der nicht eine wirkliche Aktion im eigentlichen Match zeigte. Das hatte einen guten Grund, denn WWE Champion Triple H verletzte sich kurz vor dem Summerslam – befand sich aber nun mal in einem spannenden Programm mit Bill Goldberg und sollte gemeinsam mit ihm, Randy Orton, Chris Jericho, Kevin Nash und Vorjahressieger Shawn Michaels den Summerslam in der Elimination Chamber headlinen. Helmsley betrat das Match als Letzter und wurde direkt zurück in seine Kammer gespeared. Goldberg fertigte in aller Ruhe die restlichen Gegner ab, nur um von Ric Flair attackiert und von Triple H gecovert zu werden. Nach nicht mal 20 Minuten war der Spaß vorbei und es stellte sich die Frage, ob die Elimination Chamber tatsächlich so groß war, wie es ihr Ruf seit dem Vorjahr vorgab zu sein. Das nächste Debakel ließ jedoch zweieinhalb Jahre auf sich warten – kam dann aber umso dicker. 2006 veranstaltete WWE ganze zwei Chamber-Matches und beide waren zum Ins-Gesicht-Schlagen. Los ging es bei New Years Revolution mit der bis heute erst zweiten Titelverteidigung in der Stahlgondel. John Cena hatte mit Kurt Angle, Kane und Shawn Michaels auch durchaus Gegner in der Kammer, die seinem Gürtel gefährlich hätten werden können und Spannung versprachen – doch die schieden alle gleich am Anfang aus und Cena blieb zurück mit zwei Midcard Heels, Chris Masters und Carlito. Die Spannung war dahin, schon nach dem Ausscheiden der Hälfte der Teilnehmer. Nun lag es an Edge, den Abend zu retten und wie wir alle wissen, tat er das par excellence.

Eine solche Rettung blieb Ende des Jahres im dritten Debakel jedoch aus. Erstmals war es keine reine RAW-Veranstaltung in der Chamber, als man das Konstrukt an die neugegründete ECW verlieh. Die veranstaltete ihren ersten und auch letzten Roster-Only PPV „December 2 Dismember“ – dem wohl miesesten PPV der jüngeren WWE-Geschichte. „Extreme Elimination Chamber“ hieß das Ganze und das Extreme daran war, dass sich in den Plexiglas-Kammern nicht nur wütende Menschen befanden, sondern auch jeweils eine Waffe. CM Punk, DER Shooting-Star des ECW-Rosters, mit dem man den Abend eventuell noch hätte retten können, schied als letzter aus. RVD, Test und Hardcore Holly folgten, ehe Bobby Lashley letztlich den bis zum Erbrechen überpushten Big Show nach wenigen Aktionen abfertigte. Es war das grausige Ende einer so unglaublich grausigen Show, für die mir WWE noch heute 12 EUR schuldet (der Opener war mir durchaus drei Euro wert).

Zahl einen, nimm 2.

Doch das waren jetzt mal grade 3 misslungene Ausgaben bei immerhin 9 bisher durchgeführten Kämpfen. Das bedeutet 66,7 % gut – das ist doch ne Quote mit der sich locker ein Land regieren ließe. Zunächst brachte man die „Ausscheidungskammer“ ja als Highlight bei großen PPV’s, bevor 2005/2006 zum festen Bestandteil des New Years-Revolution-PPV’s zu werden schien. Tatsächlich änderte man dieses Konzept jedoch wieder schnell und verlegte das Gimmickmatch in den PPV mit dem passenden Namen „No Way Out“. Wobei es doch einen sehr leichten Weg nach Draußen gibt – einfach aufgeben oder pinnen lassen. Aber lassen wir’s dahingestellt. Die Elimination Chamber sollte nun also zum WrestleMania-Aufbau dienen. 2008 indem man durch sie die Herausforderer auf die beiden Major Titles bestimmen ließ und 2009 dadurch, dass man so wenige Wochen vor der größten Wrestlingshow der Geschichte noch mal beide Gürtel direkt auskämpfte. Aber der Reihe nach. 2008 gewann John Cena den Royal Rumble und löste seinen Spot direkt für No Way Out ein. Somit waren sowohl RAW als auch Smackdown ohne No.1-Contender für WrestleMania. Die Freitagsshow setzte bei der Besetzung seiner Chamber ganz eindeutig mehr auf Masse als auf Klasse und so kam es, dass neben den schon fast schmächtig wirkenden MVP und Finlay nur Brocken wie der Undertaker, Big Daddy V, Batista und der Great Khali um die Chance bei WrestleMania kämpften. Leider war hier von vornherein klar, dass es nur Batista oder der Taker vom Standing her machen könnten – und selbst Batista war ein wenig zu weit weg vom damaligen Champion Edge. Erwartungsgemäß gewann die dunkle Seite, doch entgegen aller Erwartung wusste das Match trotz des vorher feststehenden Gegners durchaus zu überzeugen. Ja, und ich fand es gar besser als das technisch viel besser besetzte Pendant rund um Sieger Triple H und seine Gegner Jeff Hardy, Chris Jericho, JBL, Umaga und wieder Mal Shawn Michaels.

Ein Jahr drauf, 2009, waren die Erwartungen niedrig – das Ergebnis jedoch war sensationell. No Way Out wurde durch die Geschichte, die man an diesem Abend mit den beiden Chambers erzählte zu einem absoluten Mörder-PPV. Smackdown’s Chamber war kraftvoll besetzt: Vorjahressieger Undertaker, The Big Show, Jeff Hardy, Vladimir Kozlov, Triple H und Champion Edge. RAW hingegen schickte neben Champion John Cena nur den Intercontinental Champion Chris Jericho, den mexikanischen Springfloh Rey Mysterio und drei Midcarder (Mike Knox, Kofi Kingston & Kane) ins Rennen. Was hier Main Event werden würde schien klar. Schien. Denn erstmals in der Geschichte von World Wrestling Entertainment ertönte gleich zu Beginn einer Show der Gong und der Undertaker machte sich auf den Weg um den Opener eines PPV’s zu bestreiten. WTF!? Und es kam dicker: nach nicht einmal vier Minuten war der Champion Edge ausgeschieden, als Erster! OMG!? Triple H und der Deadman, beiden traute man den Sieg ohne Probleme zu, blieben schließlich über und die Nase siegte über das Totenreich. Ein toller Kampf – doch lange nicht das Ende dieses ereignisreichen Abends. Im Main Event kam es zu Chamber Nummer zwei und Ex-Champ Edge verprügelte Kofi Kingston bei dessen Einmarsch, nur um seinen Platz einzunehmen und das Ding nach einem furiosen Finale gegen Rey Mysterio zu gewinnen. Auch hier schied der Champion John Cena nach nicht einmal vier Minuten aus! WWE war komplett durchgemischt und die Elimination Chambers bildeten hierfür ein sicheres Fundament.

(R)Evolution

 Fehlt noch eine Kammer, um das Bild komplett zu machen. Eine, die ich mit Absicht ganz zum Schluss bringe, denn sie ist einer meiner unabdingbaren Lieblinge und nach dem Debüt der Matchart und dem tollen 2009er Szenario mein absoluter Favorite. Wir schrieben das Jahr 2005, es war Januar, New Years Revolution. Wenige Monate zuvor gewann Randy Orton seinen ersten WWE Title von Chris Benoit, wurde daraufhin von Triple H aus der Evolution gekickt und turnte Face. Nun, im Januar, war das Gold vakant und sowohl Randy, als auch Triple H und Noch-Evolution-Mitglied Batista befanden sich in der Chamber. Edge, Chris Jericho und Chris Benoit waren Füllmaterial, Shawn Michaels dieses Mal nur als Gastringrichter mit dabei. Die Hauptdarsteller waren die drei Evolutionäre. Triple H der König. Randy Orton der Entmachtete, dessen Run als Face jedoch gehörig ins Höschen ging. Und dann war da noch Batista – der Mann, der immer etwas im Schatten von Orton und HHH stand, dessen Popolarität in den vorhergehenden Wochen aber dermaßen stieg, dass sein Turn die Luft so dicht presste, dass man sie mit einem stumpfen Messer hätte schneiden können. Würde Batista heute turnen? Es kam schließlich zum Showdown der Drei. Der Kampf war begeleitet von lautstarken „Batista“-Chants, speziell wenn sich Gelegenheiten zum Turn boten. Und ja, man reizte es aus, doch beließ Batista in seiner Rolle als Gefolgsmann. Schließlich pinnte Randy Batista und Triple H sah zu. Hunter siegte, doch es war der Anfang vom Ende. Jeder wird’s wissen, es folgten Rumble-Gewinn, Thumbs Down und der Run eines neuen Superstars. Doch allein durch die Stimmung zwischen diesen drei Männern war die Elimination Chamber an diesem Abend so unglaublich sensationell.

Eene Meene Muh – und raus bist Du.

Welche Matchart eignet sich wohl besser zum Faktensammeln als die Elimination Chamber? Der Royal Rumble, ja, aber um den geht es hier nun mal nicht. Doch das ist kein Grund, die Chamber nicht zu durchleuchten und mit 10 Punkten vollkommen unnützen Wissens zu verzieren:

- Durchschnittlich dauerte ein Elimination Chamber Match bisher 29,5 Minuten und ist damit das längste Gimmickmatch dieser Reihe. Ganze 5 Minuten länger als der bisherige Spitzenreiter Hell in a Cell, gut doppelt so lang wie ein MitB-Match und drei Mal so lang wie ein durchschnittliches Casket Match (oder halt so lang wie ein TLC-Match und ein Casket-Match zusammen).

- Die längste Elimination Chamber dauerte fast 40 Minuten und war die Debütausgabe.

- Die kürzeste war nur ungefähr halb so lang und war Ausgabe Nummer 2.

- Niemand außer Triple H konnte die Elimination Chamber bisher mehr als ein Mal gewinnen – Hunter dafür gleich vier Mal!

- Von den vier Siegen erntete Triple H jeweils zwei Siege in Folge.

- Triple H hält außerdem gemeinsam mit Chris Jericho den Rekord der meisten bestrittenen Chamber-Matches – während Hunter sich nur in einem geschlagen geben musste, siegte Jericho in noch keinem seiner 5 Kämpfe.

- Edge bestritt als Einziger 2 Elimination Chamber Matches an einem Abend und ist nebenbei auch der einzige Star in der WWE-Geschichte, der einen World Title am selben Tag gewann, an dem er einen anderen World Title verlor.

- Jeff Hardy war noch nie ohne Triple H in der Elimination Chamber, Kane noch nie ohne Chris Jericho.

- Kane und Jericho sind damit auch die einzigen beiden, die an der allerersten sowie der bislang letzten Elimination Chamber teilnahmen. Lässt man den gesamten No-Way-Out-2009-Abend gelten, darf man noch Triple H dazuzählen.

- In Summe bot uns World Wrestling Entertainment bereits 4,5 Stunden Wrestling in der Elimination Chamber, was übrigens 22-Mal so viel Matchzeit bedeutet als Braden Walker im selben Zeitraum im WWE-TV bestritt.

Der Partykalender.

 Noch weit bevor Matches wie TLC oder Hell in a Cell zum Motto eines PPV’s wurden, versuchte man die Elimination Chamber fest an einem Ort zu etablieren. Erst New Years Revolution, nun No Way Out. Außer dem Casket Match hat also jede unserer 5 Mottopartys seinen festen Termin im Jahr gefunden. Im Frühjahr heißt es „geschlossene Gesellschaft“, kurz Drauf packen wir unsere Koffer, im Spätsommer lassen wir die Hölle gefrieren und zum Jahresabschluss regnet es Tische, Stühle und Leitern. Das Partyjahr bei WWE anno 2009. Wenn ihr mich fragt, auf welche Party ich am liebsten gehe, dann sind es eben jene zu Beginn des Jahres. Die Chamber, weil in ihr, spätestens seit diesem Jahr, wirklich alles passieren kann und man die Möglichkeit hat, viele Geschichten gleichzeitig weiterzuerzählen oder gar entstehen zu lassen. Money in the Bank liebe ich aus dem einfachen Grund, dass in diesem Kampf ein neuer World Champion gekürt wird, ohne dass ein Titel wechselt.

 Am Ende bin ich aber einfach Partymensch und unterm Strich ist mir das Motto ganz egal – Hauptsache es wird gefeiert. Das macht mich zum Wrestlingfan. Doch wenn es mal ein Motto gibt, ein unverbrauchtes, auf das man sich schon lange freut, oder gar mal ein ganz neues – dann ist die Karte so gut wie gekauft! Und damit schließe ich diese Reihe, die 5 Matchtypes beschrieb zu einer Zeit vor ihrem Overflow, bevor man es mit Ihnen übertrieb. Und auch wenn sich diese Übersättigung nun ankündigt, sehe ich dem doch mit wenig Gram entgegen – denn wo anderes verschwimmt, muss Neues geboren werden. Neue Partys braucht das Land. Und ich werde garantiert dabei sein.

Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!