1998 – Von Männern, Monstern und Chinesen

Das Wrestlingbusiness ist ein schnelllebiges und es ernährt sich von Konkurrenz. Das beste Beispiel hierfür dürften die Monday Night Wars sein, denn stärker war die Konkurrenz nie, aber stärker waren auch die Shows niemals als zu dieser Zeit. Ein unweigerlicher Teil der Konkurrenz ist der Part, in dem man sich mit dem Konkurrenten beschäftigt, ihn also nicht bloß ignoriert, sondern bewusst auf ihn eingeht. Bei den MNW gestaltete sich das beispielsweise in der Invasion der dX bei Nitro oder dem Verraten der RAW-Ergebnisse durch Eric Bischoff. Die Lieblingsinstrumente des „Aufeinander-Eingehens“ waren aber ganz andere: Kopieren, Parodieren und Blamieren. Oklahoma – das Alter-Ego des Ed Ferrera, das wohl populärste Beispiel. Man kopierte Jim Ross, parodierte seinen On-Air Charakter und blamierte somit nicht nur die WWF sondern sich selber für diesen dämlichen Einfall. Die WWF war in dieser Zeit aber keineswegs besser. Sie kopierten sich teilweise sogar selber, parodierten ihre Vergangenheit und blamierten sich nicht zu selten selber bis auf die Knochen. Die 5 Highlights dessen, was man bei der World Wrestling Federation um 1998 verbrach, lest ihr in der nun schon neunten Ausgabe der schlechtesten Gimmicks der 90er:


5. Kaientai

Selten war in der World Wrestling Federation etwas erfolgreicher als das Konzept der d-Generation X. Vielleicht noch die Austin-McMahon-Fehde oder der Screwjob in seinen zweifelhaften Auswirkungen – aber die dX spielt in ihrer Bedeutung eine Rolle, wie kaum etwas Zweites zu dieser Zeit. In Japan bei Michinoku Pro Wrestling wurde man auf eben diesen Erfolg aufmerksam und gründete den schlitzäugigen Abklatsch dessen, was Triple H zum Megastar machte: die KdX – die Kaientai dX, eine 1-zu-1 Kopie der amerikanischen Variante.
Dies der erste Teil der Vorgeschichte. Teil 2 der Vorgeschichte befasst sich mit dem jämmerlichen Versuch der WWF die bewundernswerte Cruiserweight-Division der WCW nachzuahmen. In einem spektakulärem 8-Mann-Ausscheidungsturnier wurde Taka Michinoku zum ersten Light Heavyweight Champion der WWF gekrönt und unterschrieb in diesem Zuge auch gleich einen 10-Jahres Vertrag.
Und nun kommen wir an die Stelle, an dem sich diese beiden Vorgeschichten – also zwei miese Kopien genialer Vorbilder – vereinten und zu WWF Kaientai wurden. Taka spielte trotz seiner langen Titelregentschaft eine absolut nebensächliche Rolle im WWF-Geschehen und irgendwie wollten ihn die Booker interessant machen. Also holte man die dX-Kopie aus Japan in die WWF (bekanntestes Mitglied war der heutige Funaki) und ließ diese Taka attackieren. Nachdem das komischerweise auch nicht interessant war, turnte Taka Heel und zu Kaientai. Blöd, dass dies aber auch nicht interessant war. Denn Kaientai wirkte zwischen der Masse der amerikanischen Wrestler in keinster Weise glaubwürdig und erntete als Reaktion vom Publikum lediglich Nichtbeachtung. Erst die Tag-Team-Variante aus Taka und Funaki („Indeeed!“) wenige Jahre später mochte kurzzeitig unterhalten.


4. The Human Oddities

Die Oddities waren an sich eine fantastische Idee. Nachdem die Truth Comission (vollkommen zu Recht) floppte, hatte man mit Kurrgan einen übel drein schaueneden Schurken übrig, mit dem man nichts anzufangen wusste. Um ihn baute man ein Heel-Stable auf, das sich unter der Führung von The Jackyl den Namen „Jackyl’s Parade of Human Oddities“ gab und aus einer Reihe Freaks bestand. Neben Kurrgan war da noch der riesige und wrestlerisch völlig unbegabte Giant Silva – in diesem Stable aber alles andere als fehlbesetzt. Außerdem Golga, der großartige John Tenta unter einer braunen Maske als Freak mit Southpark-Tick – auch ein tatsächlich erstaunlich gelungener Einfall. Dann noch einige Sidekicks wie Frank the Elephant Boy oder die Insane Clown Posse, die glücklicher Weise nicht wrestlete, sondern lediglich einen der bis dato besten Entrance-Themes für die Oddities einsang. Rundherum ein sehr gutes Stable voller unterschiedlicher, aber absolut gelungener Charaktere. Sie sollten als Heels die WWF erobern.
Problem an der Sache: Sie waren nur genau 4 Wochen Heels. Jackyl wurde ausgetauscht durch Luna Vachon und als wäre das noch nicht genug, stellte man ihnen auch noch Sable an die Seite. Die Monsterfreaks Silva und Kurrgan begannen auf einmal zu lachen und zu singen und bunte Klamotten zu tragen und Tenta mit dem wohl vielversprechensten Oddity-Charakter wurde gnadenlos verjobbt. Mit diesem Stable lieferte die WWF eine neue Referenz für Stables der falschen Gesinnung. Vergleichbar ist dieses Desaster mit Doink the Clown, der als Heel zu den wohl besten Gimmicks der 90er zählt – es als Face aber auch auf eine dieser Listen geschafft hat. Die Oddities wären als Heel-Team in die Geschichte eingegangen, als Faces waren sie Crap.


3. L.O.D. 2000

Wer der Meinung ist, die aktuellste Version der Legion of Doom mit Roadwarrior Heidenreich wäre die unrühmlichste der LOD-Geschichte gewesen, der irrt. Mit viel Trara holte man Animal und Hawk im Jahr 1997 in die World Wrestling Federation zurück und sie waren besser denn je. Die Fans verehrten das Team und sie erlebten einen neuen Höhepunkt. Interessante Geschichten wurden um dieses traditionsreiche Team aufgebaut, so zum Beispiel der Verrat von Paul Ellering an der LOD und die anschließende Fehde mit der DOA. 1998 machte man aber etwas, dass die LOD für mich zerstörte – und nicht nur für mich, auch die Fans distanzierten sich mehr und mehr von ihnen, was auch noch im Laufe des Jahres das Ende der WWF-Karriere zur Folge haben sollte.
Aus Der Legion of Doom wurde die LOD2000 – eine moderne Version der alten Roadwarriors. Als Managerin stellte man Hawk und Animal Sunny an die Seite, die Spikes wurden in Roboterstil umdesignt und die beiden trugen Helme bei ihrem Einmarsch. Zu allem Überfluss ergänzte man die legendären Roadwarriors um ein bis dato vollkommen unbekanntes drittes Mitglied namens Puke aka Droz. Dessen Gimmick bestand darin, jederzeit auf Zuruf kotzen zu können. Nachdem man dies einmal in einer Show praktizierte und ihn auf die Motorräder der DOA kotzen ließ, vergrub man dieses Gimmick glücklicher Weise, was es davor bewahrt, hier separat genannt zu werden. Richtig deprimierend wurde das Gimmick, als man Hawk im TV ein Alkoholiker-Gimmick auf den Leib schrieb und ihn in den Matches fest durch Droz ersetzte (makaberer war nur Harald Juhnke für die Hauptrolle in „Der Trinker“ zu besetzen).
Nachdem man durch mieses Booking durch das Jahr 1998 beinahe die Legende der Road Warriors zerstörte, versöhnte man sich zumindest ein wenig mit Hawk und Animal, als sie 2003 noch einmal einen Auftritt in altbekannter Form bei RAW haben durften. Wenige Monate später verstarb Hawk sehr plötzlich und wurde 2005 durch Heidenreich ersetzt. Wie gesagt, nicht schön, aber besser als LOD2000.


2. Gillberg

Kult und Chaos – wie schon sooft in dieser Kolumne erwähnt, zwei Sachen die sehr dicht beieinander liegen. Duane Gill ist wieder so ein Kandidat. Während man mit den Fake Outsiders zwei ehemalige Stars der WWF kopierte und Oklahoma eine miserable Kopie Jim Ross’ darstellte und sich definitiv in der Sparte Chaos befand, zeigte man, dass man auch anders kann. Duane Gill mutierte zu Gillberg. Einer Kopie des WCW-Stars Goldberg. Einer guten Kopie, einer lustigen und durchaus unterhaltsamen Kopie. Zunächst war Duane Gill unter langer blonder Mähne ein Langzeitjobber der WWF, bevor er als Glatzkopf in Al Snows Job Squad gesteckt wurde und gleich bei seinem Debut zum dritten Light Heavyweight Cahmpion der WWF-Geschichte wurde. Den Titel hielt er länger als jeder andere in der Geschichte des Gürtels. Duane Gill zu Gillberg werden zu lassen, machte ihn wahrscheinlich unsterblich. Wäre dem nicht so gewesen, würde sich heute möglicher Weise niemand mehr an ihn erinnern. Leider war mit dem Gimmick aber auch verbunden, dass er so gut wie nie Matches gewinnen durfte und immer total lächerlich dargestellt wurde. Gill machte einen klasse Job und man gewann durch sein Gillberg-Charakter einen unvergleichbaren Charakter im Roster hinzu. Allerdings verlor man dadurch Duane Gill, einen Mann mit tollen Skills. Und man nahm ihm gleichzeitig die Chance, sich mit seinem durchaus vorhandenen Charisma und seinen wrestlerischen Fähigkeiten eine „echte“ und ernstzunehmende Karriere aufzubauen.
Aber wie gesagt: Gillberg ist unsterblich und einer meiner unweigerlich liebsten Momente des 21. Jahrhunderts war sein Auftritt bei RAW und das anschließende Match gegen Goldberg – das Original. Ich würde mir wirklich wünschen, dass man Duane Gill in seiner Karriere noch einmal die Beachtung schenkt, die er eigentlich verdient hat.


1. „A Real Man’s Man“ Steven Regal

In der WCW gehörte Lord Steven Regal quasi zum Inventar und war einer der wenigen wirklich Stars, die over bei den Fans waren, obwohl sie ausschließlich durch die WCW aufgebaut wurden. World Wrestling Federation wurde aufmerksam auf Regal und nahm ihn unter Vertrag. Die Marotte der frühen Neunziger, Neueinkäufe mit miesen Gimmicks auszustatten, hatte man 1998 anscheinend immer noch nicht endgültig abgelegt und statuierte mit Regal erneut ein Exempel. Während er in der WCW ein Blaublütiger war, ein eitler Brite - was zweifelsohne sein absolutes Spezialgebiet in Sachen Gimmicks ist – verpasste man ihm in McMahon-Land das wohl unpassenste Gimmick, das nur irgend möglich war. Der feine Herr Regal wurde zum „Real Man’s Man“ Steven Regal. Einem harten Typen mit Lumberjack-Hemd und Bauarbeiter-Helm. Ich sehe diese Idee auf einer Ebene mit imaginären Ideen wie Steve Austin als dritten Mann neben Billy und Chuck auftreten zu lassen oder Goldust zur Hardcore-Legende aufzubauen. Anscheinend total überrascht vom Misserfolg des Gimmicks waren die Booker, die sich diesen Geniestreich hatten einfallen lassen. Man war so verdutzt darüber, was mit Regal geschah, dass man nicht mehr wusste, was man anstattdessen mit ihm anfangen konnte und entließ ihn wieder.
Im neuen Jahrtausend bewies man tatsächlich, dass man aus Fehlern lernen konnte und holte Regal zwar als „William“, aber dafür in seiner Paraderolle als britischen Snob zurück. Eine Rolle, die bis heute funktioniert und diesen kurzzeitigen Ausrutscher im Jahr 1998 wohlwollend vergessen lässt.

Mit Michinoku, Putski und Christopher kopierte man die Cruiserweight Division der WCW – und zwar schlecht. Mit Kaientai kopierte man sich selber, mit den Oddities wandelte man eine geniale Idee in Abfall. Die „Optimierung“ der LOD führte nahezu zu ihrer Zerstörung, während die Parodie von Goldberg erstaunlich gut ankam. Mit dem Man’s Man Gimmick allerdings blamierte man einen der wohl besten Männer des Business auf die Knochen. Parodieren, Kopieren und Blamieren – die drei Leitwörter des Jahres 1998.

Um Kopien wird es auch in der nächsten und letzten regulären Ausgabe der schlechtesten Gimmicks der 90er gehen. Denn mit dem Jahr 1999 nähern wir uns immer mehr der Neuzeit und verlassen zunehmend die Attitude-Ära. Viele Ansätze des Gezeigten, sind noch bis heute zu erkennen. Bis dahin!