Allgemein dürfte es wohl als eine der undankbarsten Aufgaben in der Kommentar-Branche gehören, eine bestimmte Personengruppe, Zielgruppe oder Medienkategorie danach zu bewerten, welcher / welche / welches denn nun der / das / die objektiv beste sei. Erst kürzlich amüsierte mich Benjamin von Stuckrad-Barre’s spektakulärer Versuch eben diesem gerecht zu werden, indem er sich in der Januar-Ausgabe des deutschsprachigen Rolling Stone Magazines die Frage stellte, wer denn nun faktisch gesehen die coolere Sau sei Marius Müller-Westernhagen oder Herbert Grönemeyer. Jedweder Ausflug aus nostalgischer Ehrfurcht jedem der beiden Legenden gegenüber in gotteslästerndes wie nennte es doch der Wrestlinfan gemein „Bashen“, wurde von Stuckrad-Barre sofort wieder relativiert, indem er betonte, hier doch eigentlich von außer Konkurrenz stehenden Ikonen zu philosophieren. In meinen Augen war dieser Artikel ein Meisterstück und hat es tatsächlich geschafft ein Ergebnis zu präsentieren, dass der unbeantwortbaren Frage zwar keine endgültige Antwort bescherte, aber zumindest ausreichend Anekdoten lieferte, die bewiesen, dass man unter Äpfeln und Birnen halt nicht bestimmen kann, wer die bessere Melone sei.
Nenne ich also beispielsweise Westernhagen Flair und Grönemeyer Michaels und versuche die Frage nach Deutschlands größer Rockikone durch die des größten Stars des Wrestlingjahres 2008 zu ersetzen, dann kann ich dabei nur baden gehen und mich maximal im Stuckrad-Barre-Stil durch amüsante Ergebnislosigkeit retten. Ich bin nun mal kein Bestseller-Autor und werde das vermutlich auch niemals sein. Also tue ich einen Scheiß und verstecke mich vor einer windig-genialen Lösung, indem ich einfach die Fragestellung vollständig umgehe. Ist Flair der größte Star, weil er eine großartige Karriere beendete? Ist Michaels der größte Star, weil er Flair’s Unsterblichkeit vollendete? Ich will nicht sagen, dass es mir egal ist sondern nur, dass ich eine Antwort einfach nicht abschließend geben kann.
Genau deshalb entschied ich mich bereits vor einem Jahr bei der Einführung der M-Awards, dass ich mich bei der Vergabe dieser Jahresabschluss-Auszeichnung nicht mit den fundamental langweiligen Kategorien zu beschäftigen, die eh auf jeder zweiten Seite beantwortet werden sondern mit eben jenen, die sonst keine Aufmerksamkeit bekommen. So in der Art, als hätte Stuckrad-Barre anstelle der Suche nach Deutschland’s größter Rocklegende nicht Marius und Herbert verglichen, sondern Guildo und <setze_einen_beliebeigen_Namen_eines_DSDS-Finalisten>. Nichts gegen Guildo ich find Guildo klasse. Und JA. Genau da liegt der springende Punkt. Es ist doch mehr als offensichtlich, dass es viel mehr Spaß macht, Leistungen wie die eines Braden Walker zum Jahresende zu ehren, als den Abschluss der Karriere des Nature Boy, von der eh jeder weiß, dass sie ziemlich abgefahren war. Mann des Jahres: Barack Obama. Uuuuuh. Ich bin schockiert. Mann des Jahres: Andrea Ypsilanti. Yeah. Auf diesem Niveau bewegen wir uns hier. Und damit geht nicht der Preis für den Newcomer des Jahres an Braden Walker, auch nicht der des körperlichen Verfalls, des spektakulärsten Runs oder was auch immer sondern der erstmalig vergebene M-Award für die „Wrestling-DVD des Jahres“. Das Cover und der Trailer dieser Fake-DVD gingen durch’s Internet wie Paris Hilton’s Sextape und machte etwas mit Chris Harris, für das Flair zwei komplette Leben, 16 World Titles und einen Flugzeugabsturz brauchte: es machte Chris Harris in der Wrestlinggeschichte unsterblich. Natürlich nicht die DVD alleine, sie war es aber, die den übergewichtigen Texas Ranger von Kollegen wie Gavin Spears und Konsorten abhob. Sie ebnete den Kult.
Braden Walker ist nunmehr eine Legende. Gavin Spears ist Geschichte und so spektakulär uneinprägsam, dass ich mich spätestens beim Korrekturlesen dieses Textes vermutlich fragen werden, von wem ich da geschrieben habe!? Ben, dies ist der Hinweis, den Namen Gavin Spears dennoch stehen zu lassen. Und ich kann da noch mehr von. Hade Vansen kam einen Tuck zu spät, um berücksichtigt zu werden, Scotty Goldmann wurde jüngst zwar mit ungeahnter Aufmerksamkeit in Form eines WWE.com-Segments bedacht, spielte in den Shows aber eine nicht minder belanglose Rolle wie Kollege Legende. Dann gibt’s da noch Ryan Braddock, dessen bisheriges Karrierehighlight darin bestand, von Jesse und Festus in Frischhaltefolie eingewickelt zu werden. Man sperrte ihn im Anschluss in einen Umzugs-Laster mit Kenny Dykstra. Und damit hab ich den Bogen zu einer weiteren Figur gespannt, die in diese Kategorie fällt. Der M-Award „Eindrucksärmsten Wrestlers des Jahres 2008“ geht jedoch an Everybody’s Darling Colin Delaney. Nicht weil er unwichtiger war als Spears, Dykstra, Yang und co. sondern weil er trotz einer Storyline, einem überraschenden Heelturn und der Einbeziehung in eine Title-Fehde sofort seine Papiere bekam. Das irrsinnige um seine Person war doch, dass man die Storyline darum aufbaute, er würde nach einem Vertrag streben in dieser Zeit hatte er aber längst die unterschriebenen Papiere in seinem „Colin“-Ordner abgeheftet. Schließlich, als er es dann endlich gemäß Story geschafft hatte, den Vertrag zu erringen, entließ man ihn aus eben jenem. Da der gemeine Wrestlingfan dieser offensichtlichen Dummheit aber anscheinend viel zu wenig Beachtung schenkte, wiederholte man selbiges Szenario mit dem viel bekannteren und akzeptierteren Armando „Dude, where’s my ‚Alejandro‘?“ Estrada. Kennt ihr diese typische Szene in Western, in denen ein Strohballen durch die leere Prärie glitt? Stellt Euch bitte genau dieses Bild an genau dieser Stelle vor.
Für eine Slammy-Award-Nominierung in der Kategorie „Dämlichste Entlassung“ kam Estrada’s Rausschmiss leider ebenso zu spät wie die von Elijah Burke, D-Lo Brown und Val Venis. Trotzdem präsentierte man in den restlichen Kategorien erstaunlich weltnahe Sieger. Die Slammy-Academy machte das Tag Team des Jahres zum Tag Team des Jahres, kürte den Wrestler des Jahres zum Wrestler des Jahres und benannte das Match des Jahres zum Match des Jahres. Selten traf man im Lande der Fehlentscheidungen und Realitätsblindheit so oft ins Schwarze wie bei der 2008er Neuauflage der Slammy-Awards. Größte zu beantwortende Frage während der gesamten Zeremonie blieb jedoch, warum man die Auszeichnungen überhaupt zurückbrachte? Okay, man bekam die Auflage, mehr 3-Stunden Specials auszustrahlen - für ein Special benötigt man folgerichtig irgendwas "Speziales". Im laufenden Jahr veranstaltete man also nicht nur die viel gelobte Million Dollar Mania und die alljährliche Draf Lottery, nein, man brachte gar Schätze der Vergangenheit wie das King of the Ring Turnier und die besagte Slammy-Award-Verleihung zurück auf den Montag-Abend. Die mit Abstand kreativste Idee, ein 3-Stunden Special irgendwie mit Inhalten zu füllen war allerdings die Feier anlässlich der 807. Ausgabe von RAW - die man kurzerhand zur 800. degradierte und damit vorgab, einen plausiblen Grund für eine fette fette Party zu haben. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, eine eigene Abhandlung über die "Lost 7" zu verfassen, nicht zu verwechseln mit den "Oceanic 6", bei der es um eben jene 7 Ausgaben gehen sollte, die man aus den Geschichtsbüchern zu schreiben hatte, um bei besagtem Special eben jenen Grund zu feiern gehabt zu haben. Die sieben miesesten RAW Ausgaben - es reizt mich, jedoch ist die Recherche so umfangreich, dass dies vemutlich die letzte M-Award-Zeremonie für die kommenden vier Jahre sein würde und somit winde ich mich aus dem bodenlosen Konstrukt, indem ich das 3-Stunden-Special "RAW 800th Anniversairy" mit dem eigens hierfür entworfenen M-Award für das "Coolste 3-Stunden-Special-Motto" auszeichne - in gleichem Atemzug über die "Lost 7" schweige und die "Oceanic 6" auf ihrem weiteren Weg begleite.
Es war eine ganze Menge Trophäen, die am Abend der Slammy-Show über den Tresen ging - doch die erweiterten Mann-O-Mann-"Ich bin ein toller Typ, weil..."-Auszeichnungen waren nicht die einzigen, die World Wrestling Entertainment 2008 verteilte. So huldigte man Jeff Hardy's Drogenkunsum beispielsweise mit einer Auszeichnung in Kofferform für CM Punk. Der Great Khali erntete gleich eine Reihe Chicas als Ehrerbietung für seinen überraschend geglückten Faceturn und William Regal's Lebenswerk schien man urplötzlich mit einer ungewohnt respektbekundenden Krönung zum King of the Ring zu belohnen. John Cena gewann den Royal Rumble, der Undertaker mal wieder den WrestleMania-Main-Event. Shawn Michaels belohnte man mit dem seit Orlando Jordan's Abgang vermisst geglaubten "Mitarbeiter-des-Monats"-Plakette aus dem Hause JBL und als das Jahr dahin schied, schienen plötzlich Marius Müller-Westernhagen und Herbert Grönemeyer die letzten beiden Männer im Sports-Entertainment gewesen zu sein, bei denen es zu keiner eindeutigen Auszeichnung kam. Für die Verteilung des begehrten M-Awards für die "Beste öffentliche Auszeichnung durch den Arbeitgeber als Teil einer On-Air-Storyline" griff man jedoch so tief in die Trickkiste wie noch nie. Jedes Jahr auf's Neue begeistert die Verleihung der goldenen Himbeeren im Vorfeld der Oscar-Verleihung die Zyniker dieser Welt - man nehme etwas von begeistertem gesellschaftlichem Interesse wie bspw. das amerikanische Mainstream-Kino und zeichne nicht die geilsten Typen und Werke aus, sondern den Bodensatz aller Peinlichkeit und Tragödie. Ein Prinzip, indem ich durchaus Identifikation finde.
WWE allerdings verlor diesen Ansatz vollständig, letzte historische Aufzeichnungen sind wohl die berüchtigte Gimmick-Battle-Royal und die Ernennung Vickie Guerreros zum Smackdown-GM. 2008 allerdings verdiente man sich den M-Award, indem man einen Preis für das schuf, über das sich die ganze Welt lustig machte: Der Diva's Title war geboren. Wrestlingfans stehen auf Talent und auf Schönheit, Wrestlerinnen könnte man das Ergebnis nennen. Selbige Zielgruppe hasst die Darstellung eben jener Berufsgruppe als "Diven" und wird dafür regelmäßig in Konkurrenzligen vollkomen zu Recht durch den Kakao gezogen. Auf diese Trendwelle stieg nun auch WWE selber auf und parodierte sich und seine Barbie-Puppen, indem man sie durch einen eigenen Gürtel auszeichnete. Geplant für 2009: der "You can't wrestle"-Championship, für den man sogar eigens Ali Singh re-verpflichtete; der "You fucked up"-Championship, den man um Leder und Gold zu sparen direkt um Jeff Hardy's Hüfte tätowiert; und der "Kid's Choice Championship", den die Idole der jüngeren Zielgruppe wie John Cena und Rey Mysterio in "Topfschlagen"- oder "Fangen"-Matches untereinander ausmachen.
Bleibt nur noch der finale Preis zu vergeben, der nicht zu selten bei Verleihungen dieser Art zu den gößten Gänsehaut-Momenten führt, Emotionen weckt und Menschen ehrt, die einfach keine spezielle Kategorie benötigen, um ausgezeichnet zu werden. Es geht um's Lebenswerk - und natürlich wäre auch der M-Award kein ernstzunehmender Preis, wenn nicht auch hier jemand für den gesamtheitlichen Beitrag seines Lebens zu diesem Sport geehrt werden würde. Natürlich wäre der M-Award kein ernstzunehmender Preis, wenn es ihn nicht auch als Auszeichnung für jemandem "Lebenswerk" geben würde.
Und damit sind wir am Ende der diesjähigen Zeremonie.
Im vorlage-gebendem Pendant des Rolling Stone Magazines endete das Duell zwischen Grönemeyer und Westernhagen unendschieden - zwar sei Herbert heute der wesentlich auf-dem-Boden-gebliebenere, Marius dafür einfach die coolere Sau, die halt am eigenen Imagewechsel zu Grunde ging. Stuckrad-Barre vergab im letzten Satz sein Prädikat, dass das Quäntchen auf der Waage letzten Endes sei, dass er halt einfach einen Faible für Menschen mit einem Bindestrich im Namen habe. Für mich ein Quantum Trost - denn so erhalte ich Rechtfertigung den finalen M-Award dieses Jahres für den "Besten Bindestrich im Namen" an D-Lo Brown zu vergeben und ihn trotz seiner Entlassung somit über R-Truth und Frau Copeland-Guerrero stellen zu können. In diesem Sinne - schließe ich die Zeremonie und sende meinen aufrichtigen Glückwunsch an die Gewinner.