Teil 1:
Stinkt die alte ECW?

Ein paar kurze Worte vorneweg: omnium rerum vicissitudo est. Bevor ihr die gleiche Google-Suche wie ich invers durchlauft, erspare ich euch, was Generationen von SPD-Politikern bei Franz-Josef-Strauß-Reden beschämt hat, nämlich die Suche nach lateinischen Sprichwörtern, die eigentlich ebenso auf deutsch verwendet werden könnten. Daher auf deutsch: jedes Ding hat zwei Seiten, wie es Ben ja in seinen erfrischend polemischen Zwei-Seiten-der-Medaille-Rezensionen deutlich macht. Saubere und faire Berichterstattung sollte das stets berücksichtigen, und wer meine Texte über die Gladiatoren der Moderne kennt, weiß dass ich nie über Wrestler herziehen würde, ohne zumindest mit einer feigenblättrigen Würdigung meine Einseitigkeit zu überdecken. Es gibt jedoch auch Sachverhalte bei denen die Allgemeinheit eine sehr klar definierte Meinung hat, sich also klar für eine Seite entschieden hat. Manchmal zurecht (Hitler, Kindersex, Frauenboxen), manchmal zu Unrecht (Nixon, Tiersex, Frauenwrestling). Wenn der Autor bei den nicht eindeutigen Sachen nun einseitig die Position der Allgemeinheit vertritt, so nennt man das Populismus – wenn man allerdings genau die Gegenseite vertritt, dann ist es das, was Benjamin von Stuckrad-Barre (ja Ben, nicht nur du kannst den zitieren) als den pöbelnden Defätisten bezeichnet hat. Zynisch, verbittert, mit leichtem Hang zur Überheblichkeit – und sehr unterhaltsam, quasi Helmut Schmidt gegen political correctness. Als Nichtraucher muss man sich eben die stets schwelende Fluppe beim Lesen vorstellen, und schon hat man in etwa den passenden Eindruck. Und genau das will ich auch hier machen, über Dinge herziehen, die eigentlich allgemein als gut und toll anerkannt werden, die mir aber vermutlich genau deswegen auf den Zeiger gehen. Also das ganze gute Zeug eben, Mick Foley, Jeff Hardy (zu einfach), [beliebiger, bereits verstorbener Wrestler] (zu blasphemisch), Bret Hart (nö, nicht den Hitman), Ric Flair (schon eher), Shawn Michaels (schon gemacht), Puroresu, Lucha libre, ROH (perfekt, weil ich da auch die nötige Prise Ignoranz aufweise), die nWo (und zwar jede Phase davon), Steve Austin (ja, genau den) und natürlich, als idealer Einsteiger: die alte ECW.

Ich erspare euch und mir die hundertste Geschichte über den extremen Laden, dass sie ja ursprünglich aus dem Osten kam (also nicht DEM Osten, wobei sie so aussah) und den ganzen Kram. Stattdessen werde ich mit messerscharfer Analytik aufzeigen, wieso die alte ECW gestunken hat – und danach dann eine neue IP-Adresse beantragen (zum Glück macht mein Router das ja automatisch – was für ein Kalauer). In guter alter Erörterungstradition wird in diesem Einleitungsteil ein kurzer Überblick über die Motivation (schon geschehen), die Vorgehensweise (polemisch) und den Aufbau stattfinden. Die investigative Analyse wird sich insgesamt mit drei voneinander abzugrenzenden Themen beschäftigen, zum einen mit dem Inhalt (also dem Wrestling) in der ECW, zum anderen mit der Präsentation des Ganzen und abschließend mit der äußeren Wahrnehmung. Der mündige Leser kann sich ja in Gedanken Nummern vor die einzelnen Absätze machen; was das allerdings bringen sollte weiß ich auch nicht.

Ist aber natürlich auch egal, beginnen wir mit den im Ring dargebotenen Leistungen der extremen Burschen. Eigentlich ein sicherer Punkt, wenn man mal den Heerscharen von Internetfans Glauben schenken darf, und dennoch, als allgemein aufgeschlossener (weil an Youtube angeschlossener) Teil der IWC (oh ja, wer Texte in Umlauf bringt gehört dazu, und wenn es nur stark plagiatorische Schmuddelecken wie die Gladiatoren der Moderne sind), muss ich da entschieden entgegentreten. Meinethalben (gut, Ismael) gab es auch vernünftige Kämpfe, aber die stilbildenden Sachen mit Tommy Dreamer, Sandman etc. waren nicht unbedingt von einer hohen wrestlerischen Klasse. Nur weil man es einige Jahre geschickt geschafft hat eine Lücke zu füllen, die von den großen Anbietern nicht wahrgenommen wurde, heißt es noch lange nicht dass diese Lücke auch gut gefüllt wurde. Vielmehr gab es vermutlich mehr Spots als im Lebenswerk von Ilja Richter (ich bin zwar nicht der Jüngste, aber den habe ich netterweise nur als verklärte Erinnerung der älteren Generation erlebt), und dank Kiffern wie RVD wurden die auch noch reihenweise in den Sand gesetzt. Eine Liga in der jemand wie New Jack NICHT übermäßig negativ auffällt ist nicht unbedingt ein Hort der Wrestlingqualität, aber das nur am Rande. Zudem war das Verkaufen der Aktionen in etwa so angesagt wie Milch in der Stammkneipe von Peter Neururer und Klaus Augenthaler (Achtung: der Autor distanziert sich im Rahmen seiner publizistischen Grundrechte und des generellen Schwerpunkts von Satire in diesem Text von etwaigen Fehlannahmen, welche bei der Lektüre des letzten Vergleiches aufgetreten sein könnten. Es soll hier keinesfalls, unter gar keinen Umständen, nicht einmal im Entferntesten, null kommagarnichts angedeutet oder gar behauptet werden dass Peter Neururer und / oder Klaus Augenthaler die gleiche Stammkneipe hätten. Puh, das war knapp), warum sollte man es auch schmerzhaft aussehen lassen wenn es diverse Kanthölzer auf die Fontanelle gibt. War halt alles ein bisschen wie bei Asterix und Obelix oder Bugs Bunny – zuerst fällt der Amboss bzw. gallische Faust auf den Kopf, dann zwitschern Vögel um den Kopf, eine Beule wächst heraus, man hält ein lustiges Schild hoch und in der nächsten Szene nimmt man Majestix wieder zum Bodyslam hoch, während Elmer Fudd alias Kurt Angle eine Kreuzigungsszene mit ansieht. Es könnte sein, dass im letzten Teil der Vergleich ein wenig verrutscht ist…

Der nächste Punkt betrifft die äußere Präsentation, also wie man das im vorherigen Abschnitt als weniger hochwertig eingestufte Produkt dem Kunden präsentiert hat. Als der durchaus exzellente One Night Stand stattfand wurde die Stammhalle der alten ECW, die Viking Hall in Philadelphia, vom Freund aller Rookies als Bingohalle bezeichnet. Das Witzige daran ist dass es sogar stimmt, besonders stolz dürfte man darauf wohl nicht gewesen sein, aber einerlei. Es kommt ja nicht auf den Ort an, sondern darauf wie es präsentiert wird, und genau hier setzt mein zweiter Kritikpunkt an. Wenn ich schäbig ausgeleuchtete Turnhallen mit schlechtem Sound sehen will, in denen irgendwo (selten im Bild) entweder gebrawlt wird oder unbekannte Mexikaner aufeinander herumhüpfen dann besorge ich mir bei dubiosen Videohändlern Indy-Videos – aber die werden wenigstens nicht als die Rettung des Wrestling-Abendlandes dargestellt, dazu aber mehr im nächsten Artikel. Paul Heyman mag ja schon Ahnung gehabt haben wie man Storylines bookt, aber wie eine Show aussehen sollte hat sich wohl nicht bis zu ihm durchgesprochen. Nicht dass ich diesen Indy-Charme nicht mögen würde, um dauerhaft (auch nachträglich) als ernsthafte Alternative zum Mainstream wahrgenommen zu werden bedarf es schon ein wenig mehr.

Kommen wir nun zu dem Punkt der mich dieses ganze polemische Pamphlet überhaupt hat schreiben lassen, nämlich der unsägliche Hype welcher um den Laden gemacht wird. Ich spreche hierbei bewusst im Präsens, da vermutlich der Ruf der ECW von Jahr zu Jahr besser wurde, seitdem Paul Heyman keine Lohnschecks mehr platzen lässt. Wenn man den Maßstab an die ECW legt der passend wäre – also eine kleine, alternative Wrestlingliga – hätte ich niemals den bisherigen Text verfassen können. Da allerdings mit einem verklärten Blick auf früher alles besser aussieht und in diesem Fall eine nostalgische Verklärung durch das Internet schwappt wie es wirklich selten ist, gelten demnach in diesem Artikel die Ansprüche, welche an eine quasi „große“ Liga gestellt werden. Aber auch diese Verklärung ist noch nicht einmal das Schlimmste, wenn sie wenigstens nur von Leuten käme, die auch wirklich die ECW zu ihrer Blütezeit erlebt haben. Nehmen wir einmal eine Gesamtheit von 100 Einheiten Wrestlingfans, alle verbreiten im Netz wie grandios, anders und besser die alte ECW doch war. Dann ziehen wir diejenigen ab, die damals in den USA gelebt haben und demnach einen vernünftigen Zugang zur ECW hatten – bleiben noch 99. Anschließend ziehen wir diejenigen ab die alt genug waren um vor 2001 bereits zumindest 10 gewesen zu sein – bleiben noch (vorsichtig geschätzt) 57. Nun addieren wir wiederum diejenigen dieser Gruppe, welche zwar prinzipiell alt genug gewesen wären, aber nicht den durchaus aufwändigen Beschaffungsprozess auf sich genommen haben (sei es aus Bequemlichkeit oder Unkenntnis) – bleiben noch (vorsichtiger geschätzt) 77,3. Also knapp drei Viertel, das heißt nur ein Viertel der Fanschar hat tatsächlich einen neutralen Blick auf das Geschehen genossen. Der Rest kennt das, wovon er so schwärmt, lediglich von alten Mitschnitten, die natürlich unvoreingenommen alles zeigen und nicht im Mindesten nur das Gute betonen. Ironischerweise ist wohl ein Gutteil der Beliebtheit der ECW auf die berühmte DVD über den Aufstieg und Fall der ECW zurückzuführen – welche natürlich von der WWE produziert wurde, und wenn man im Hause McMahon eines kann, dann ist es wohl DVD-Sammlungen zu produzieren. Extrem ausgedrückt kann man also sagen dass drei Viertel aller (natürlich schon immer, Frechheit was der da sagt, voll einen an der Waffel…) Hartkern-Fans nur deswegen Fans sind, weil sie von der WWE dazu gebracht wurden; dazu kann sich jedermann jetzt natürlich sein eigenes Urteil bilden.

Abschließend bleibt zu sagen, dass in diesem Machwerk ganz bewusst eine sehr einseitige Position eingenommen wurde. Mir ist durchaus bewusst dass die Punkte 1 und 2 (oder 1 mit 2, wie es bei Zetteln in der Schule immer hieß) vermutlich nicht ganz so einseitig zu betrachten sind, aber Punkt 3 ist das was mir seit langem auf den Geist geht, und demnach sind auch 1 und 2 gerechtfertigt. Bevor das Ganze aber zu mild wird noch zum abschließenden Urteil:

Stinkt die alte ECW? – Schuldig!

Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!