Teil 2:
Gibt es nur in der WWE gutes Wrestling?

Herzlich willkommen zur zweiten Ausgabe dieser Kolumne, die selbst den Iron Sheik als vernünftigen und durchdachten Redner erscheinen lässt. Nachdem ich letztes Mal Dreck auf lange vergangene Zeiten geschaufelt habe, ist heute die Gegenwart dran. Wenn man sich ein wenig in diversen Internet-Foren (wenn ich von diversen Internet-Foren schreibe meine ich natürlich genau eines; es reicht schon wenn ich bei Genickbruch mit schlechter Rechtschreibung gequält werde) umsieht, kommt man unweigerlich früher oder später zu der Einsicht, dass wahre Kennerschaft im Bereich des Sports der Könige automatisch wahre Begeisterung für Wrestling abseits der WWE bedeutet. Niemand, der etwas auf sich hält, wird offen zugeben dass er die WWE als die auch inhaltlich beste Wrestling-Liga ansieht. Würde man diese Meinung äußern würde man entweder wütende Reaktionen ernten oder aber dieses leicht onkelhafte Getue, wie es eben nur Forumsnutzer mit vierstelligen Postingzahlen (und, für Statistik-Fans, MEHR als einem Post pro Tag) zustande bringen. Man muss sich dabei einen leicht süffisanten Gesichtsausdruck vorstellen, wie ihn eben nur junge Männer mit dunkelgrauen Sweatshirts haben, die sich auch ab und an darüber lustig machen, dass man als Admin immer irgendwelchen Noobs ganz einfache Sachen erklären muss, und daher nicht dazu kommt das Proggy zum funzen zu bringen, das noch ein wenig buggy ist. Mit anderen Worten: Wrestling und vor allem Internetseiten darüber ziehen ein Publikum an, das durchaus große Schnittmengen mit anderen eher männlichen Kulturphänomenen aufweist. Den Vergleich mit dem geschmeidigen Comicbuchverkäufer von den Simpsons erspare ich mir, durchaus auch weil Simpsons-Referenzen (und ich könnte so ziemlich in jeder Lebenssituation eine passende Simpsons-Szene zitieren, auch dass ich jetzt auf die ersten neun Staffeln eingrenze macht den Nerd-Level nicht niedriger) in etwa in die gleiche Richtung gehen. Zurück aber zu den mitleidigen Reaktionen, mit denen einem dann Matches von Leuten nahe gelegt werden die man noch nie im Leben gehört hat, wie Dr. Wagner, Kenta Kobashi oder Bryan Danielson. Ein einziger Hinweis darauf dass man das letzte Match von Vladimir Kozlov gegen den Great Khali für mindestens vier Sterne würdig empfindet, und schon hat man sein Forenleben lang ein Glaubwürdigkeitsproblem. Anschließend wird mit anderen „echten“ Fans über die letzten 23 Fünsterne-Matches (oder *****, wie es dann gerne heißt, bzw. (FRITZ), wenn man das Von-Erich-Rating verwendet) in Japan diskutiert. Einen guten Einblick in das, worüber ich mich lustig machen möchte, liefert diese satirische Mail, die, wie so vieles auf das ich mich in meinen Schreibereien für diese Seite beziehe, von der wundervoll unkorrekten Seite www.thewrestlingfan.com übernommen wurde.

Sei es nun ROH, AAA, NJPW oder was weiß ich – natürlich sind die alle um Längen besser und glaubwürdiger als der hassenswerte Versuch von Vince McKommerz, auch so etwas wie Wrestling zu zeigen. Dickes Pfui, oder shame on you, wie es der dicke Querulant bei der Oscar-Verleihung gesagt hat (der übrigens vor drei Jahren auch eine ideale Zielscheibe für einen solchen Artikel gewesen wäre). Um der umfangreichen Thematik gerecht zu werden und einen fairen, sachlichen Artikel zu produzieren beschränke ich mich für ROH (stellvertretend für Indy-Wrestling), Puroresu und Lucha Libre auf jeweils einen Punkt – mehr Argumente sind teuflisches Blendwerk und von einer geradezu blasphemischen Dekadenz. Sind ja nicht bei der Zeit.

Beginnen wir mit Lucha Libre und der geradezu perversen Faszination von Männern unter Masken. Da ich zwar geschmacklos, nicht aber vollkommen ignorant sein will weiß ich natürlich dass die Masken eine Hommage an die Vorfahren, Götter oder den letzten gelungenen Bruch sind – ich warte immer noch darauf, dass beim inzwischen recht weichgespülten Aktenzeichen XY, ungelöst  ein Ganove so eine Luchador-Maske trägt und dass dann entweder Rudi Cerne oder ein kerniger Polizeihauptkommissar aus dubiosen Regionen wie dem Bergischen Land oder dem Spessart erklären, was diese Maske eigentlich bedeutet. Ebenfalls schön: Lita identifiziert bei Wetten, dass ..? anhand der Masken 100 Luchadores, mit denen sie es im Laufe ihrer Ausbildung als Gegenleistung für Training in Mexiko getrieben hat, was natürlich auch nur ein unbestätigtes Gerücht ist. Worauf ich hinaus will: es mag sein, dass es dort zum guten Ton und der Kultur dazu gehört, wenn Wrestler aussehen wie zu klein geratene Zirkusclowns mit Aggressionsproblemen, aber ich will das im Ring nicht sehen. Es mag ebenfalls sein, dass ich diese ganz spezielle Abneigung wegen dem ganz speziellen Rey Mysterio Jr. entwickelt habe, Eddie Guerrero fand ich eigentlich immer ganz cool – aber der trug auch niemals bzw. sehr selten eine Maske. All die guten Argumente, von wegen bessere Technik etc. – es ist mir egal, wenn ich nicht sehen kann wie ein Wrestler reagiert ist er für mich mehr oder weniger uninteressant. Wobei es natürlich auch Wrestler gibt bei denen die Maske essenziell wichtig ist. Man nehme den frühen Kane, Mankind, Brutus Beefcake bei WM IX, sie alle wurden als Monster hingestellt die niemand stoppen kann, wohingegen sicherlich nicht jeder Maskenmann aus Mexiko ein unmenschliches Monster darstellen soll.

Als nächsten Gegner bzw. Diskussionspunkt steht das Puroresu auf dem Prüfstand. Eigentlich ein sicherer Punkt, gute Action, gute Technik, zudem haben sie den Burning Hammer in Japan entwickelt – also eigentlich lauter gute Sachen. Dennoch fange ich beim Ansehen eines japanischen Matches mit dem Gähnen an, weil es irgendwie ganz und gar nicht meine Kultur ist. Diesen gewissen Kulturschock im Umgang mit asiatischen und speziell japanischen Eigenheiten zu verneinen ist heutzutage ein sehr wichtiger Punkt im Bereich der politisch korrekten Geisteshaltung. Man findet es eklig irgendwelche Tierabfälle zu essen oder Zoobewohner zu verspeisen – Faschist! Man hat kein Verständnis für den rülpsenden Asiaten in der Mensa und putzt sich in seiner Gegenwart die Nase – Ignorant! Wäre mir der Dalai Lama nicht schnurzpiepegal käme der auch noch dran, weiter mit was anderem. Man denkt bei Japan sofort daran, dass sich Geschäftsleute Mädchenslips aus dem Automaten ziehen und danach in sargähnlichen Schlafwohnungen vier Stunden pro Nacht schlafen – Chauvi! Der geneigte Leser mag hier einen Hauch Xenophobie herauslesen, nur zu, die schlechteren Argumente kommen noch. Aber das ist es noch nicht einmal was mich an japanischem Wrestling stört, so völkisch und intolerant bin ich eigentlich gar nicht. Nein, was mich stört, das ist der nahezu vollkommene Verzicht auf Storylines. Ich finde es auch albern und zum fremdschämen wenn irgendwelche hingestussten Liebesdreiecke Ausgangspunkt für Matches sind, aber man will doch wenigstens wissen wieso es eine auf die Nuss gibt. Ab und an mal ein pures Wrestlingmatch ist ja ganz fein und mit den richtigen Beteiligten auch ein echtes Vergnügen, aber das Wrestling lebt doch in meinen Augen davon dass man den Leuten einen Grund liefert, wieso sich die beiden im Ring denn hassen. Mal ist dann die Begründung besser, mal schlechter, aber immerhin gibt es in der WWE so gut wie meistens einen Grund für die Kloppe. Darum: Daumen hoch für WWE, Daumen runter für Puroresu.

Die nächste Liga sieht mich nun NOCH ignoranter als die Bemühungen in Mexiko und Japan, nämlich die aktuell entweder größte Independent-Liga oder aber kleinste „große“ Liga, nämlich ROH. Ich werde gar nicht erst mit den durchaus angebrachten Tiraden gegen den pädophilen Gründer Rob Feinstein anfangen, immerhin wurde er glücklicherweise erwischt und in bester US-Tradition öffentlich gebrandmarkt – ich denke mal wenn er umzieht muss er sich an seinem neuen Wohnort auch bei den Nachbarn und im örtlichen Kindergarten bzw. der Grundschule mit Vorstrafenregister vorstellen, so etwas wie Resozialisierung ist ja vollkommen ausgeschlossen. Stattdessen formuliere ich meine unwissenden Ressentiments anhand eines Arguments, das ich bereits gegen die „alte“ ECW verwendet habe, nämlich die Präsentation und diesmal auch das Aussehen der Athleten. Natürlich kann es nicht so professionell aussehen wie bei der WWE heutzutage, wo wirklich jede Kameraeinstellung stimmt, man die Aktionen in der Regel so sieht dass sie den meisten Eindruck schinden (jeder größere Bump wird so gezeigt dass er nach purer Bosheit aussieht, die Schläge sollen seit Einführung von HD angeblich realistischer ausgeführt werden) und auch manchmal übertriebener Wert auf die äußerliche Erscheinung der Athleten gelegt wird. So sehr man Vince McMahon für seinen fast schon faschistischen Körperkult angreifen mag (und das meistens zu Recht), es spricht absolut nichts dagegen bei Wrestlern großgewachsene Muskelprotze zu bevorzugen. Es muss wirklich und wahrhaftig nicht der perfekt durchtrainierte Bodybuilder sein, bei dem wohl auch inzwischen noch viel zu oft der Griff in den Medikamentenschrank obligatorisch ist, aber es wirkt sowohl im Fernsehen als auch in der Realität einfach wesentlich beeindruckender, wenn größere Athleten kämpfen als wenn es normal gewachsene Männer tun. Natürlich gibt es immer wieder Gegenbeispiele, aber welcher Wrestler ist denn unter 220 amerikanischen Pfund jemals over gewesen? Wenn ich blasshäutige Männer, die nicht weniger als wiegen, miteinander kämpfen sehen will dann erinnere ich mich meiner Zeit bei der Bundeswehr und dem wundervollen Ballspiel „Kampfball“ (ähnlich wie Rugby, nur ohne Sackschutz) mit dem man 40 junge Männer problemlos eine Stunde lang beschäftigen konnte. Im Wrestling-Ring dagegen haut mich das einfach nicht um, und ich muss andauernd an irgendwelche verwackelten Bilder aus Turnhallen denken, die zeigen wie Teddy Hart vollkommen sinnfreie Spots aus dem Hut zaubert. So, falls das jetzt nicht zu sehr nach Leni Riefenstahl geklungen hat dann hoffe ich, dass mein Punkt klar geworden ist: ich will Leute im Ring sehen, denen ich es auch abkaufen würde dass sie Otto Normalverbaucher (der fade Cousin von Lieschen Müller, der alten Matratze) ordentlich frisch machen könnten. Nennt mich engstirnig oder was auch immer, aber ich will nicht mich selbst im Ring sehen (als Sinnbild für Otto).

Damit dürfte in den letzten drei Abschnitten zweierlei deutlich geworden sein. Zum einen bin ich ein xenophober Ignorant (dabei mag ich Japan, aber gewisse Argumente muss man eben einfach finden), dem es rein gar nichts ausmacht, Sachen zu verurteilen die er nicht in ausreichender Menge konsumiert hat – von mir aus. Zum anderen aber kann man auch bei den meistgelobten Sachen einen Haken finden, und in einem objektiven Vergleich mit den genannten Alternativen schneidet die WWE meiner Meinung nach durchaus ordentlich ab: ein bisschen zu bunt, ein bisschen zu populistisch, ein bisschen zu irre, quasi die „Bild“-Zeitung des Wrestling. Jetzt bin ich zwar bestimmt der Letzte der real die „Bild“ loben würde, aber wenn man schon in eine Trashkultur wie Wrestling eintaucht, dann aber auch richtig. Mit sexistischen Divas, aufgepumpten Hünen und einem oftmals quietschbunten Booking erfüllt die WWE das am Besten, worum es im Wrestling letztlich doch geht: Unterhaltung!

Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!