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So, werte Leserschaft, nach den wüsten Exzessen der vorherigen Teile kommen wir diesmal zu einem Pamphlet über jemanden, bei dem es mir wirklich in der Seele weh tut. Kundige Leser der Überschrift ahnen bereits, dass es sich dabei um den toten Mann höchstpersönlich handelt, den Undertaker. Ja, ich weiß, er ist eine coole Sau der noch dazu den Bogen von der Vergangenheit der frühen 90er in die Gegenwart der späten, äh, was auch immer, schlägt. Immerhin bietet er allen Gelegenheitsfans die Möglichkeit, ein wenig Beständigkeit in die Sehgewohnheiten zu bringen. Man schaltet nach etwa 10 Jahren wieder ein, sieht die ganzen komischen Typen, warum ist denn der nerdige Kommentator von früher mit Vorliebe für pastellfarbene Anzüge inzwischen der Eigentümer? Was ist mit Jack Tunney? Verdammt, sind Money Inc. noch Tag Team Champions? Und wann kommt endlich Hulk Hogan? Alles anders, Gehirnschock! Ah, puh, da ist der Undertaker, anscheinend ist das wohl doch in Ordnung. So in etwa geht es Jahr für Jahr der älteren Fangeneration die wieder einmal zufällig über Wrestling stolpern, und auch für die jüngere Generation bietet der Totengräber Unterhaltung vom Allerfeinsten. Ich hoffe es wird deutlich wie sehr ich eigentlich den Burschen mag, niemand anders hätte eine solch lange positive Einleitung in diesem Hort des Zynismus bekommen. Dennoch hat er sich eine Einführung in diese Reihe redlich verdient, und nachfolgend werde ich auch aufführen, weswegen ich das als richtig und wichtig erachte.
Gehen wir einmal davon aus, dass es hinter den Kulissen wenige Personen gibt die mehr Einfluss haben als der Undertaker. Jahrelange Treue zum Arbeitgeber (auch während den stürmischen Jahren), eine zumindest allgemein kolportierte Rolle als Umkleidekabinenpolizist, den Willen sich anscheinend auch in höherem Wrestlingalter noch zu verbessern und ein generell wohl äußerst professionelles Verhalten müssen ja auch zu etwas gut sein. Deswegen darf man wohl auch davon ausgehen dass er durchaus Einfluss auf die Entwicklung seines eigenen Ringcharakters hat. Demnach muss er an dieser Stelle die Verantwortung für subjektive Fehlentwicklungen desselben übernehmen und sich der strengen Jury (bestehend aus einer Person) stellen. Einverstanden, Taker? Nein, es interessiert mich nicht was deine Kreaturen der Nacht sagen, und ich ruhe auch noch nicht, weder in Frieden noch in Unfrieden. Also sehen wir uns mal an was da so passiert ist.
Ich werde jetzt nicht die vollständige Geschichte des toten Mannes im professionellen Ringkampf rekapitulieren, nur die Schlaglichter. Als er in die damalige WWF kam, war diese bereits vollkommen auf dem Weg, sich zu einer eher bunten Freakshow zu entwickeln, ganz im Gegensatz zur eher faden NWA, wobei es auch in der WCW Farbtupfer gab. Dazu sei auch auf Bens famose Reihe über die Gimmicks der 90er hingewiesen, als allgemeine Faustregel kann man für den Anfang dieser Dekade festhalten: bunt sollte es sein. Was für die Musik in den 80ern galt war nun eben beim Wrestling ein bisschen später en vogue. Gut, bunt war der Undertaker nie, aber sein Gimmick war doch schillernd genug. Ich meine, welche Assoziationen hat man denn von einem Totengräber wenn nicht die von einem wandelnden Untoten mit der mangelnden Fähigkeit Schmerz zu empfinden? Ich wünschte mehr Friedhöfe würden solche Leute beschäftigen, da hätten Begräbnisse gleich einen ganz anderen Reiz. Auf jeden Fall war er damals ein absoluter Hingucker, und zwar alles an ihm, also Aussehen, Auftreten und Ringverhalten. Letzteres war sogar ganz besonders fein, immerhin schaffte man es ihm diese gewisse Aura der Unbesiegbarkeit zu verleihen. Er wirkte einfach wie eine unstoppbare Macht, und hatte man ihn auf dem Boden dann richtete er sich einfach wieder auf. Klar, No-Selling ist eine gefährliche Sache weil es den Gegner immer ein wenig doof aussehen lässt, aber in diesem Fall führte es zu einem absoluten Monsterpush nach klassischer Prägung. Lässt man heutzutage einen Snitsky namenlose Jobber ins Gesicht freaken dann juckt das keinen mehr. Bekam damals aber ein Wrestler eine Reihe lokaler Größen zum Fraß vorgeworfen so führte das dazu, dass die Zuschauer ihn enorm ernst nahmen und er für den Main Event in Frage kam. Wenn es ein körperlich größerer Wrestler war dann gerne auch mal gegen zwei Vögel mit Namen Dale Wolfe oder Randy Gibson, die eine funkelnde Jacke trugen und entweder wenn gegen Face arrogant auf und ab hüpften oder aber wenn gegen Heel ein wenig schüchtern in die Kamera winkten. Die guten alten Zeiten eben, aber damals hat es funktioniert. Einen anderen Ansatz verfolgte da übrigens die NWA mit ihrem Territoriensystem, bei dem die gleichen lokalen Pfeifen einstündige Matches gegen Ric Flair bestreiten durften, dieser wie ein Hydrant blutete und die 300 Zuschauer begeistert waren. Aber zurück zum Punkt, damals war es absolut unerlässlich, dass man gegen Jobber aufgebaut wurde, und der Undertaker kämpfte dann gegen die richtig „Großen“ zumindest ansatzweise wie gegen diese Jobber und das war es, was ihn als irgendwie unfassbares Phänomen etablierte. In dem Zusammenhang war es paradoxerweise auch wichtig, dass der Undertaker eben nicht Champion war, er wirkte einfach immer zu dominant. Demnach war es jahrelang seine Hauptaufgabe gegen große untalentierte Bösewichte zu kämpfen, die auch ganz gerne mal mit Airbrush eine Arschritze auf das Kostüm gemalt bekamen. Die Jahre gingen ins Land, das Prinzip blieb das Gleiche, auch wenn der Faceturn einiges von dem Spaß zunichte machte. Mit Mankind und Kane wurden dann aber Gegner eingeführt, die ihn länger als ein paar Matches beschäftigten, und so cool die Matches auch waren: irgendetwas ist in der Zeit kaputt gegangen. Er verlor seine Unantastbarkeit und korrigiert mich falls es falsch ist fing auch mit dem stärkeren Selling an. Und ich denke zu der Zeit wurde seine Haut auch dunkler oder weniger gebleicht, und langsam aber sicher änderte sich das gesamte Paket.
Wenn man den Weg betrachten will muss man sich das Ende ansehen, und da wären wir in der Gegenwart. Heutzutage liefert er Matches gegen alle möglichen Gegner ab (die Fehde mit Shawn Michaels lassen wir einmal außen vor, die war einfach zu gut), das Licht geht bei deren Promos im Ring aus (was ist nur aus der guten alten Backstage-Promo geworden, das war cool… wer nicht Randy Savage stammeln, den Warrior grunzen oder Ted DiBiase lachen gehört hat während er vor einer bunten Pappwand stand hat einfach nicht gelebt) und man hat ein wenig Angst oder soll es zumindest. Dann gibt es ein Match bei Wrestlemania, es sieht so aus als wäre die Serie vorbei, aber nein, der Tombstone gegen den Undertaker hat doch wieder nicht funktioniert. Undertaker-Gegner bei Wrestlemania sind in der Regel dümmer als Bond-Bösewichte, aber so ist das eben. Es werden ja auch andere Wrestler in recht stereotyper Weise dargestellt, also warum nicht mit dem Totengräber? Und genau da ist der Punkt der mich so massiv am Undertaker stört: er ist einfach beliebig geworden. Früher trug er Schweißerhandschuhe, hatte rötliche Haare, ein Mienenspiel einer Faschingsmaske und hätte nicht einmal den Tod gesellt es war irre, aber es hat funktioniert. Heute trägt er MMA-Handschuhe, grimassiert wie ein 11.-Klässler vor der Aufführung in der Theater-AG und sellt Aktionen wie ein Cruiserweight. Ich will nicht seine Finger sehen. Ich will auch keine normalen Schläge von ihm sehen, wo sind die Schläge mit der Innenhand hin, die viel charakteristischer für ihn waren als das Laufen auf dem Seil? Und ich will erst recht nicht, dass er bei Schlägen von seinen Gegnern den Kopf wegschleudert als würde er wie ein normaler Mensch körperliche Empfindungen haben, was soll denn das? Es wird ja oft von dem wohl erfolgreichsten Gimmick überhaupt gesprochen, und meinetwegen kann man das so sehen. Aber ist denn noch sein Gimmick? Ich habe ihm schweren Herzens die Bikerzeit verziehen, aber was danach kam war doch nur noch eine Verhöhnung seiner wahren Bestimmung ein Monster zu sein und MICH zu unterhalten.
Eingangs hatte ich ja beschrieben, dass er wohl zum großen Teil selbst für sein Gimmick verantwortlich sein dürfte, und ich sehe aus rationalen Gründen durchaus ein, dass eine modernere Ausrichtung seines Gimmicks ihm mehr Freiheiten bietet aber mal im Ernst: wer will Udo Lindenberg nüchtern und ohne Hut sehen? Wer Helmut Kohl in dünn? Wer Sepp Maier ohne Weizenfahne und ohne peinliche Klamotten? Wer Hugh Hefner ohne Bademantel und Viagra-Ständer? Alles gute, bekannte Gimmicks, ohne die wir uns die Personen gar nicht mehr vorstellen können, und verdammt noch mal, dann kann doch der Undertaker wieder den originalen Zombie mimen. Von mir aus zieht er auch die Storyline aus Smackdown vs. Raw 2009 durch, macht Finlay oder Santino zu seinen dunklen Dienern und lässt sie sich schminken dass sie nach Erbswurstsuppe aussehen. Tolle Matches gegen ausgewählte Gegner darf er danach auch noch absolvieren. In diesem Sinne: ist der Undertaker schuldig, seine wahre Bestimmung verraten zu haben? Schuldig! Soll er weg? Nein, keineswegs. Aber wieder dunkel werden. Vielleicht passen ja die Schweißerhandschuhe noch, und ein bisschen gesunde Gesichtsbleiche sollte auch noch drin sein. Ist doch nicht zuviel verlangt.
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