Wer sich heutzutage mit dem Produkt Wrestling auseinandersetzt und nicht unter einer Glasglocke lebt dürfte mit Hilfe des Internets wenige bis gar keine Probleme haben zu erfahren was sich hinter manchen Entscheidungen, Wendungen und Storylines verbirgt. Wieso auf einmal Wrestler nicht mehr auftreten und nach ziemlich genau 30 Tagen wieder auftauchen, wieso manche ihre Titel in rekordverdächtiger Zeit wieder abgeben müssen und danach nicht mehr vorwärts kommen, warum eigentlich Triple H so gut ist und so weiter, all dies lässt sich bequem nachlesen, mal in gemäßigter, mal in eher provokativer Form geschildert. Die Anzahl von Personen bei denen solche Informationen nicht landen wird bei uns Spaßbremsen allgemein als Markrate bezeichnet, und die ist inzwischen einfach deutlich geringer als zur goldenen Zeit des professionellen Wrestling, in den 80ern. Worauf ich hinaus will: wenn heute beispielsweise Triple H und Shawn Michaels gegeneinander fehden, aber außerhalb des Wrestling miteinander gesehen werden dann ist das kein Skandal mehr. Es gab allerdings Zeiten in denen dies anders war, und zwar komplett anders.
Ein weiterer Begriff aus der Zauberwelt des Sports der Könige ist “suspension of disbelief“, oder auf Deutsch in etwa „Unterdrückung des Zweifels“. Auch in den 80ern wussten die meisten Zuschauer, dass sich die Wrestler nicht gegenseitig töten wollten oder ähnliches, aber der Reiz bei dieser Art von Unterhaltung ist eben, dass man dieses Wissen also dass sich die Gegner nicht ernstlich verletzen wollen für die Dauer der Veranstaltung verdrängt und sich ganz auf dieses Schauspiel einlässt. Man ist einfach für eine kurze Zeitspanne davon überzeugt, dass sich die Kontrahenten wirklich einen auf die Glocke geben wollen, dass sie sich echt nicht leiden können. Anders als pures Markwesen ist diese Verdrängung immer noch ein zentraler Bestandteil des gesamten Produkts, daher ist es auch von zentraler Bedeutung dass die Aktionen der Wrestler zumindest echt aussehen. Daher ist auch die Menge bei Jackie Gayda so ausgerastet, als sie einfach eine Aktion von Trish Stratus überhaupt nicht verkaufte.
Langatmige Einführung, aber aus gutem Grund. Denn: in den 80ern, als die Mehrzahl der Fans nicht wusste wie das Produkt funktioniert (oder es glaubte zu wissen), war es für alle Beteiligten absolut essenziell, dass keine Zweifel an der Echtheit des Ganzen aufkamen. Wer einmal das Buch von Ric Flair gelesen hat (Lesebefehl, nur mal am Rande) wird sich noch an die Schilderung seines Flugzeugabsturzes erinnern. An Bord war einer seiner Fehdengegner, und der war nicht viel weniger verletzt. Um jedoch Zweifel daran auszuräumen dass er eben nicht mit im Flieger war (mir fällt der Name nicht ein, daher „er“) reiste dieser Gegner trotz ernster Verletzungen durchs Land und hielt zumindest Promos ab, einfach um die Illusion aufrecht zu erhalten. Ein weiterer Punkt für gezielte Irreführung der Öffentlichkeit war es als 1984 Fritz von Erich den WCCW-Zuschauern erklärte dass sein Zweitgeborener, David, in Japan nach einem hinterhältigen und natürlich illegalen Tritt eines bösen Ausländers an inneren Blutungen gestorben sei. Gut, die inneren Blutungen können schon stimmen, aber das könnte eher an der tüchtigen Portion Drogen gelegen haben die sich der talentierteste der Sippe reingezogen hat. Ich persönlich habe mich als Kind immer gefragt, wie die das mit den Umkleiden machen, und wieso es nicht schon hinter der Bühne zu einer Schlägerei kommt, vor allem wenn man bedenkt dass ja auch einige Faces miteinander Rechnungen offen hatten und daher nicht in eine Sammelumkleide können es war eine herrliche Zeit.
Nun aber zur heutigen Dummheit, dem Grund für das Patschen vor die Stirn, der Quintessenz der ewig langen Einleitung. In der Mitte der 80er gab es eine Fehde in der WWF zwischen dem grenzdebilen Unterschichtproletendarsteller „Hacksaw“ Jim Duggan und den alle xenophobischen Ansprüche bedienenden „bösen“ Ausländern Iron Sheik (der irgendwann zu Protokoll gab dass er seine Gegner im Camel Clutch am liebsten mit der Rektalpolka bekannt gemacht hätte) und Nikolai Volkoff (der immer noch den geschmacklosesten Anzug aller Zeiten im Schrank hängen hat und damit sogar Sgt. Slaughter zum Heel gemacht hat). Eine ziemliche Standardfehde, die es in verschiedenen Variationen immer wieder gibt: Ami gegen Ausländer (die nach WWE-Regeln natürlich nie aus Städten, immer nur aus Ländern kommen). Und wer hätte sich dafür besser geeignet als Duggan, dessen „USA“-Rufe ihm immerhin ein geregeltes Einkommen garantieren. Jedenfalls, man mag es ahnen: die Burschen hassten sich nicht wirklich. Also eigentlich gar nicht, aber das ist bei vielen langfristigen Fehden im Wrestling so. Man denke hierbei nur an Roddy Piper und Ric Flair, oder aber richtig gut gehütet Hulk Hogan und Bobby Heenan. DAS hätte ich übrigens wirklich nicht gedacht, aber das zeigt nur wie glaubhaft die beiden ihre Charaktere dargestellt haben.
Dennoch, trotz aller Zuneigung, Sympathie oder meinetwegen auch Freundschaft: wenn es eine Person gab mit welcher der Iron Sheik NICHT in einem Auto voller Drogen erwischt hätte werden sollen dann ja wohl Jimbo. Tja, dumm gelaufen, die beiden wurden erwischt, und das war eine wirklich große Sache. Also wirklich groß. Es war wieder eine dieser Dinge bei denen Vince McMahon genau das bekommt was er eigentlich möchte, nämlich die Aufmerksamkeit der Massenmedien, allerdings genau anders rum als er es sich eigentlich vorstellt. Für die hechelnden Blätter war es damals eine Einladung zur Aufklärung der breiten Öffentlichkeit, und es war ein heute nicht mehr ganz vorstellbarer Schaden. Daher auch die lange Einleitung, einfach um darzulegen wie wichtig es damals war, dass eben so etwas nicht passiert. Insofern dürfte es auch nicht weiter wundern, dass beide umgehend gefeuert wurden, aber obwohl sie später wieder beschäftigt wurden: das Illusionsgebäude Wrestling hatte einen Sprung bekommen der nicht mehr weg ging. Und für einen solchen Schaden verantwortlich zu sein ist eine so ausgewachsene Dummheit dass in dieser Ausgabe beide Knallköpfe virtuell eine gelangt bekommen.
Dennoch: es hätte auch schlimmer kommen können. In Japan, wo manche Sachen einfach wesentlich ernster genommen werden, hätte es das Wrestling fast zerstört als herauskam dass Wrestling Fake ist. Allerdings war für diese damals wirklich katastrophale Enthüllung der Mafiatod der bekanntesten und populärsten Figur des damaligen japanischen Wrestlings verantwortlich Rikidozan. So betrachtet muss man den beiden zugedröhnten Knallköpfen zumindest eines zu Gute halten, die Mafia war bei ihnen nicht beteiligt, und es kam auch niemand ums Leben. Was sie allerdings nachhaltig dafür qualifiziert hat in dieser Ausgabe erwähnt zu werden.
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