Die Familie McMahon ist ohne irgendwelche Zweifel die wichtigste Familie im gesamten Wrestlingbusiness. Keine Sorge, dies wird keine langatmige Biografie, dazu wäre der Fleiß des Verfasser zu kurzatmig, aber ein wenig Vorrede muss wie immer sein um das Geschilderte auch richtig einstufen zu können. Angefangen mit Vince Sr. begann vor inzwischen drei Jahrzehnten ein kontinuierlicher Aufstieg dieser Familie, so dass heute Millionen von Wrestlingfans das Produkt der WWE mit Wrestling gleichsetzen. Und mit Verlaub, ganz unwahr ist das auch nicht. Natürlich schätze auch ich ein technisch hochklassiges Match mit starken und überraschenden Wendungen, und natürlich weiß auch ich, dass so etwas in der WWE wohl nicht die Regel darstellt. Was in der WWE jedoch die Regel darstellt ist das unweigerliche Gefühl, einem professionellen Event beizuwohnen. Diese Professionalität, diese Leidenschaft für den Sport bzw. die Unterhaltung, aber auch die Fähigkeit zum Wandel sind das, was die WWE so außergewöhnlich macht, und diese Eigenschaften sind direkte Erbstücke der Familie McMahon. Sei es Linda, die sich eher um die geschäftlichen Belange kümmert, sei es Vince, der sich eher um ALLES kümmert, Shane mit der Internetpräsenz oder Stephanie mit der Nachwuchsplanung und dem Marketing, die WWE ist trotz Börsennotation ein Familienunternehmen, und das ist in den meisten Situationen auch gut so. Natürlich ist Shane kein Wrestler, aber ich finde es dennoch toll wie er sich im Ring präsentiert. Linda ist immerhin schlau genug eher selten aufzutauchen, wenn dann als Symbol für Vinces Verrücktheit. Und Stephanie… nun, die hatte zumindest nette Brüste und durfte inzwischen das vermutlich diabolischste Baby seit dem von Rosemary empfangen, Triple H sei Dank. Ansonsten wüsste ich nicht, dass sie schon jemals etwas Sinnvolles im Ring oder drum herum gezeigt hat, und im Gegensatz zu Linda hat sie sich zumindest zeitweise sehr aktiv an den Storylines beteiligt. Der geneigte Leser mag es bereits herausgefunden haben: heute geht es um Stephanie. Natürlich nicht irgendwelche Booking-Sachen oder Aktionen in Storylines, sondern um etwas Reales.
Vor inzwischen über sechs Jahren ereignete sich der schwerste Anschlag auf US-amerikanischem Boden, der jemals stattgefunden hat. Am 11. September 2001 wurde das World Trade Center als Symbol westlichen Kapitalismus von islamistischen Terroristen angegriffen und zerstört. Ob man mit den danach eingetretenen Veränderungen der Weltpolitik einverstanden ist oder nicht, aber es war eine absolute Tragödie und für die gesamte Welt ein Schock. Man könnte jetzt natürlich zynisch sein und argumentieren dass woanders auf der Welt ein solcher Angriff nicht diese mediale Aufmerksamkeit bekommen hätte, aber das wäre zum einen respektlos gegenüber den Opfern und zum anderen aufgrund der Symbolhaftigkeit des Angriffsziels auch nicht angemessen. Die gesamte Welt stand damals für eine ganze Weile unter atemloser Anspannung, und dies betraf nicht nur den öffentlichen Sektor sondern auch und gerade die Unterhaltungsindustrie. Das Für und Wider von Nicht-Informationssendungen wurde debattiert, das Ende der Spaßgesellschaft ausgerufen und, als einzige in Deutschland bleibende Änderung, die „Rinder gegen den Wahnsinn“-Schleife von Harald Schmidt verschwand nach einer Terrorpause von seinem Revers. Hey, nicht lachen, das war damals die vermutlich perfekte Geste, diese Demonstration dass es zwar weitergeht aber eben auch eine Veränderung eingetreten ist. Was ich damit ausdrücken will: es war klar, dass auch unterhaltende Sendungen wieder ihre Berechtigung haben würden, unklar war nur wie das Ganze in diesen behandelt werden sollte. Während dies in Deutschland und Europa schon ein mittleres Politikum darstellte, so war es in den USA eine zutiefst wichtige Sache und niemand hätte es sich erlauben können, über die gesamte Angelegenheit Aufmerksamkeit zu erheischen. Das heißt: niemand außer der WWE, und allen voran die Tochter des Chefs.
Die erste Sendung nach dem 11. September fand am 14. September statt und es handelte sich um eine Ausgabe von Smackdown!. Wie gesagt, so kurz danach diese Show zu veranstalten war schon alleine sehr heikel, aber es wurde eigentlich sogar ganz brauchbar. Die Zuschauer bekamen patriotische Unterstützung, sahen einige Kämpfe und auch etliche Superstars die ihre Sicht zu den Dingen vorbrachten. Natürlich waren dies keine Erkenntnisse, die man nicht schon tausendmal in den Tagen davor gehört hätte, aber es half den Leuten und man konnte zufrieden sein. Noch nicht einmal die Ausfälle des späteren JBL richteten größeren Schaden an, obwohl es schon grenzwertig war zu versprechen, das Land dieser Terroristen in einen stinkenden Parkplatz zu verwandeln, aber das Konzept der asymmetrischen Kriegsführung war damals noch kein Allgemeinplatz. Gut, indirekt zu Genozid hätte er nicht unbedingt aufrufen sollen, aber es waren patriotische Tage und das war schon noch gerade so in Ordnung. Dann aber kam, nach etwa zwei Dritteln der Show die damalige ECW-Besitzerin Stephanie McMahon zum Zug. Und diese entfaltete eine Argumentationskette, die sie sofort aus jeder deutschen Talkshow von grinsenden Werbegesichtern heraus katapultiert hätte. Denn sie wagte es, sie hatte die Unverfrorenheit, war derartig unfassbar dreist, benahm sich so ungeheuer taktlos und unsensibel, dass sie den Angriff auf die USA mit etwas verglich. Jetzt haben Vergleiche in historischen Dimensionen eh immer die vermeidenswerte Eigenschaft grundlegend inkorrekt zu sein, und zudem sind sie meistens noch, nun, siehe Satz vorher. Es ist aber noch nicht einmal das Problem, DASS sie etwas verglich, sondern eher: womit. Und jetzt kommt es, sie stellte diese Terroraktion religiöser Fanatiker auf eine Stufe mit den Ermittlungen der Behörden gegen ihren Vater im Jahr 1992. Auch ihre Familie wurde angegriffen, halb vernichtet und konnte schließlich stärker denn je wieder zurückkommen, und genauso werde es den USA gehen. Kurzer Einschub. Auf der einen Seite: 2800 Tote, eine völlig unklare Feindeslage und die absolute Gewissheit, im eigenen Land nicht mehr sicher zu sein. Auf der anderen Seite: ein Arzt der WWF der Athleten Drogen gibt, und damit für ein systematisches Netz an illegalen Aktivitäten steht, das zwar nicht direkt Vinces Einfluss unterlag, aber dennoch durchaus gebilligt wurde. Und deshalb wurde die WWF von dunklen Mächten angegriffen. Ja, ich würde sagen, das spielt ganz klar in der gleichen Liga. Einschub Ende.
Unter allerhöchster Beobachtung der Medien, denen eh schon jede Art der Unterhaltung so kurz nach einem so unfassbaren Ereignis suspekt war, so einen Schwurbel zu verzapfen ist schon eine ganz besondere Dummheit. Niemand verlangt von Stephanie, dass sie ein Statement von sich gibt, dass den Leuten tatsächlich hilft, aber so höllendämlich (Eric Cartman) zu sein ist schon ein dickes Ding. Als dann in den darauffolgenden Wochen die Statements der Wrestler wiederholt wurden fehlte eine dieser Reden aus irgendeinem Grund: exakt, die dumme Aussage von Stephanie McMahon wurde NIE WIEDER in der WWE erwähnt. Und womit? Mit Recht, denn Ermittlungen gegen den angeklagten Vater mit einem Terrorangriff ungesehenen Ausmaßes zu vergleichen ist so unfassbar dumm, dass sogar bei der Tochter des Chefs davor zurückgeschreckt wird.
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